Gedankengefangen

Wann hatten Sie das letzte Mal nach einer Literatur- oder Theaterveranstaltung das Bedürfnis, sich die komplette Setliste kopieren zu wollen? Mir erging’s gestern bei „Gedankengefangene„, dem Freischuss von Silvia Weiskopf und Alexandra Danshova so. Und das, obwohl klar auf der Hand liegt, an den „Abend mit (Alltags)Poesie und Musik“ (so der Untertitel) in der Heldenbar kann Selberlesen kaum herankommen.

Rein weiblich ist das Programm von Weiskopf und Danshova, das hätte meiner Träumenden und den drei Traum-Frauen bestimmt gefallen, die aus Mangel an Pressefotos meine kleine Kritik nun bebildern.

Mascha Kaléko – wunderbar verspielt, ohne dabei je die Wirklichkeit samt Alltag aus dem Blick zu verlieren, wie könnte ich je von ihr genug bekommen? Schwer vorstellbar, erst recht, wenn eine Stimmzauberin wie Silvia Weiskopf mir neue Nuancen er- und im nächsten Atemzug das Lächeln hinter Sylvia Plaths Traurigkeit aufschließt. Auch Sarah Kirsch und Ulla Hahn, die mir beide als Dichterinnen recht vertraut sind, bekommen gesprochen, gespielt, gesungen neue Facetten, die hoffentlich noch lang bis ins eigene, stille Nachlesen nachschwingen. Dass ich bislang jedoch schon mal ein Gedicht Emily Brontes bewusst gelesen hätte, könnte ich nicht sagen, und auch Ingeborg Bachmann war bislang mehr ein großer Name und ein schwarz-weiß fotografiertes Gesicht mit Geschichte als eine, deren Worte ich selbst (er)kennen würde. Barbara Köhler dagegen kannte ich bisher nicht, und doch war ihr „Ach Täufer“ gestern Abend vielleicht das Gedicht, das am tiefsten traf. Das passte auch zum speziellen, leicht morbiden Klang Friederike Mayröckers.

Überhaupt die Übergänge – mit zum Schönsten an diesem Abend gehört es, wie leichthin und stimmig zwischen Musik und Sprache, Gedichten und Alltagstexten gewechselt wird. Manchmal verschwimmen die Grenzen zwischen zwei Dichterinnen so sehr, dass man erst im Rückblick merkt, Moment, da muss doch etwas gewesen sein. Als seien all die klugen Frauen, die hier durch und mit Silvia Weiskopf sprechen, singen, klagen, werben, denken vereint in einem großen Bewusstseinsstrom.

Wie schade, dass Freischüsse am Grillo für gewöhnlich nur ein einziges Mal zu hören und zu sehen sind. Sonst würde ich mir gern den Abend, den Franziska Schweiger clever ausgestattet, hat samt Alexandra Danshovas Kompositionen gerne noch ein zweites Mal anschauen. Und dann wären mir Ursula Krechel, Lavinia Greenlaw, Christine Lavant, Ewa Bialous, Silke Scheuermann und die Literaturnobelpreisträgerin Wislawa Szymborska bereits ein wenig vertrauter als beim ersten Mal.

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