Drei Mal Zwei

Was haben Nicci Frenchs Tuesday’s Gone, Jean-Christophe Grangés Die purpurnen Flüsse und Camarin Graes Seelenraub gemeinsam – und zwar über die Tatsache hinaus, dass es sich bei allen drei Werken  um Krimis bzw. Thriller handelt? Etwas doppeltes: in jedem dieser Bücher geht es um Zwillinge …

Bei Nicci French ist das Zwillingsthema nur ein Strang im Hintergrund der Geschichte um die Psychotherapeutin Frieda, die in London die Polizei schon zum zweiten Mal bei der Lösung eines Falles unterstützt. Im Zentrum dieses Falls steht ein rätselhafter Toter, der sich als Betrüger mit der Fähigkeit, stets derjenige zu sein, den sein Gegenüber am dringendsten herbeisehnt, erweist – mithin als Mensch, dessen eigentliche Identität hinter den Projektionen der anderen und seinem eigenen kriminellen Versteckspiel nahezu vollständig verschwindet. Demgegenüber steht eine Zwillingshandlung, die zunächst nichts als ein Überrest von Blue Monday, dem ersten Band der Serie zu sein scheint  — bis sich herausstellt, dass sich an dessen Ende nicht der serienkillende Zwilling selbst tötete sondern vielmehr dieser seinen Bruder umbrachte, um dessen Stelle einzunehmen und abtauchen zu können. Woran man schon mal eines merkt: Kurz und knapp, dabei womöglich noch elegant und pointiert über Zwillingsverwicklungen zu schreiben, ist alles andere als leicht. 😉

Jean-Christophe Grangés Die purpurnen Flüsse kannte ich bislang nur als teils berückend schön bebildert, durchweg beklemmend erzählte Verfilmung. Das Zwillingsmotiv ist hier einerseits ganz klassisch Teil des Plots – d.h. die mehr oder minder überraschende Wende, dass es eben zwei äußerlich wie genetisch gleiche Personen gibt – und andererseits ins Thema Rassenwahn und Menschenzuchtexperimente und die dort stets mitschwingende Frage, was denn nun stärker sei, die Gene oder die Gesellschaft, zurückgebunden. Allerdings habe ich bei dem Roman nicht nur ein gewisses Problem mit der Sprache – seltsam, wie schnell Versuche altern, ‚mündliche Sprache‘ in Literatur zu integrieren und das bei Übersetzungen oftmals noch stärker als bei originalsprachigen Werken – sondern auch mit der Glaubwürdigkeit. Was aber vermutlich schlicht daran liegt, dass ich es nicht mit Serienkillern habe und ich nicht mal bei Rachemördern wirklich begreife, was das elaborierte Arrangieren von Leichen soll. Und, nein, das wird kein Stück besser, wenn man mir einzureden versucht, der mörderische Zwilling sei „verrückt“.

Um Fragen von Wahnsinn und Identität geht es auch in Camarin Graes Seelenraub. Sharla entflieht ihrem grauen Leben in Portland und entdeckt per Zufall, dass sie in Chicago eine Zwillingsschwester namens Meredith hat, die jedoch praktischerweise gerade für ein paar Monate nach San Francisco gereist ist. Sharla dringt immer tiefer ins Leben ihrer sehr viel lebendigeren, glücklichen und lesbischen Zwillingsschwester ein, bis schließlich die Grenzen zwischen ihnen beiden für sie zu verschwimmen beginnen und sich alles nur noch um die Frage dreht, wie kann sie sie werden? Aus dem Blickwinkel der Identitätsthematik ist dies sicher der spannendste der drei Romane. Als Krimi bzw. Thriller finde ich ihn jedoch ebenfalls nicht besonders glaubwürdig. Das mehrfach gewendete Ende und der Schluss, der für mein Empfinden viel zu eindeutig daherkommt (natürlich überlebt auch hier der „böse“ Zwilling) toppt dabei den doppelten (pun intended!) Zufall, dass die als Säuglinge voneinander getrennten Zwillinge als Erwachsene wiederbegegnen.

Dennoch finde ich es schade, dass dieses Buch vergriffen ist und somit nur schwerlich für mein angedachtes, drittes Identitätsseminar an der Uni Essen in Frage kommt … vom Lesegenuss her uneingeschränkt empfehlen kann ich übrigens Nicci Frenchs Roman, schon allein wegen der atmosphärischen Dichte und der Art, wie French die Londoner und ihre Stadt lebendig werden lässt.

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2 Antworten zu Drei Mal Zwei

  1. Kennst Du „Himmelstal“ von Marie Hermanson? Ein Thriller mit Zwillingen, erschienen im Insel Verlag http://www.suhrkamp.de/marie-hermanson/himmelstal_879.html

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