Buchverfilmungen zu sehen, ist für Leser meist eine Enttäuschung. Wie aber sieht die Sache aus, wenn einen erst Fernsehfilme auf die zugrundeliegenden Romane bringen? Ich probierte es kürzlich mit zwei Werken von Ann Cleeves – Raven Black und White Nights aus der Shetland-Reihe – und Caroline Grahams The Killings at Badger’s Drift, dem ersten Auftritt von Inspector Barnaby im Jahr 1987 – aus. Und vielleicht sollte ich vorweg noch sagen, dass ich die Vera-Stanhope-Filme nach Ann Cleeves allesamt sehr schätze, während ich in Midsomer Murders (in Deutschland als Inspector Barnaby ausgestrahlt) nie reingefunden habe …
… aber der Reihe nach. Ich fing meine „Lesereise“ ganz bewusst in Shetland an, weil dort ein gewisser Jimmy Perez und nicht die mir ‚wohl bekannte‘ Vera Stanhope ermittelt – und war erstmal überrascht, als gleich die ersten Seiten von Raven Black Filmbilder in meinem Kopf erzeugten. Offenbar hatte ich also im Englandurlaub bereits die Verfilmung gesehen, ohne dass mir klar geworden wäre, dass dahinter ein Roman von Ann Cleeves steckt.
Dennoch nahm mich das Buch rasch für sich ein. Ich mag die Art, wie Cleeves einen kleinen Kosmos erschafft, indem sie aus einer Handvoll Figuren heraus streng personal erzählt – wie darin nicht nur deren Charaktere sondern überdies die Landschaft samt Himmel und Wetter sowie die Stimmung des einzelnen wie der Gemeinschaft und die Atmosphäre des Augenblicks mitschwingt. Das alles wirkt so plastisch, dass beim Lesen das Gefühl entsteht, man führe selbst über gewundene, holprige Straßen, könne nach Belieben in den Häuser ein- und ausgehen und unter den Menschen, die doch nichts sind als Worte auf Papier, umherlaufen.
Bei Caroline Graham würde mir das nie passieren, obwohl sie wunderbar verspielt formuliert und mich damit immer wieder um ihren (Schreib)Finger wickelt. Sonst würde ich ihr auch nicht durch ihre Ermittlungen in Badger’s Drift folgen, das mir halb als reine Kulisse und halb als zum Klischee geronnenes, klassisch englisches Village samt Vicar, Village Hall und Manor erscheint samt dazugehörigen Personal, wo jeder ein Geheimnis verbirgt.
Natürlich lüftet Graham jedes einzelne dieser Geheimnisse. Das liegt nicht nur in der Natur des Genres, sondern mehr noch in der Eigenheit ihrer Erzählperspektive, die ich als „überbordend auktorial“ bezeichnen möchte. Dass praktisch jedes Unterkapitel angelehnt an den Blickwinkel und das Erleben einer anderen Figur erzählt wird, so dass der Leser recht bald zu einem ‚allwissenden‘ bis in die kleinsten Kleinigkeiten und Nebensächlichkeiten wird, ist an sich für einen auktorialen Erzählstil nicht ungewöhnlich. Dass das jedoch letztlich dazu führt, dass ich als Leser zwar Einblick in jeden Einzelnen erhalte, aber durch die Bank weg auf Distanz gehalten werde, schmälert meine innere Beteiligung am Ganzen doch erheblich. Und dass manches Unterkapitel, das z.B. eigentlich aus Sergeant Troys Sicht begann, zwischenzeitlich bei der von Inspektor Barnaby landet, um ggf. zum Schluss der von dessen Frau zu entsprechen, ist allemal zu viel des Guten bzw. der Allwissenheit. Denn die Personen werden so zu reinen Spielfiguren degradiert, ja gar zu puren Spielbällen einer Autorin, die ihr Whodunnit-Handwerk fast so perfekt wie ihre Formulierungskunst beherrscht – und das ist schade.
Bei Cleeves dagegen liegt die Problematik geradezu umgekehrt. Ihr höchst lebendigen Charaktere machen, wie oben angedeutete, einerseits einen Gutteil der Besonderheit und Plastizität der von ihr geschaffenen Welt aus. Andererseits bricht daran dann jedoch die Glaubhaftigkeit des Endes sowohl in Raven Black als auch in White Nights: in beiden Fällen sind die Täter so gewählt, dass ihre Identität möglichst lange im Dunkeln bleiben kann, obwohl die entsprechenden Figuren nicht nur in der jeweiligen Geschichte ganz selbstverständlich präsent sind, sondern sogar jeweils eine eigene, personale Perspektive besitzen. Der Überraschungseffekt am Ende gelingt damit perfekt – allein, sobald man diesen überwunden hat, rückblickend den Weg der Figur zu betrachten beginnt, bröckelt das ganze Konstrukt und droht einzustürzen: denn was so fein beobachtet, so psychologisch reich geschildert wurde im Verlauf der Geschichte ergab ein Bild der Figur, das sich leider nicht stimmig mit dem der Tat verbinden lässt. Befriedigende Krimi- und Thrillerenden sehen anders aus.
Doch das Ende ist ja nicht alles. Nicht, wenn Autorinnen so gut sind wie diese beiden. Ich lese jedenfalls bereits das nächste Buch von Ann Cleeves und ein weiteres von Caroline Graham wartet schon auf mich … 🙂