Zwei Dinge bestimmen für mich einen Theaterabend: das Erleben während der Vorstellung selbst und das, was am nächsten Morgen von all dem geblieben ist. Bei Sophia, der Tod und ich, das gestern in der Inszenierung von Tilmann Gersch im Essener Grillo-Theater uraufgeführt wurde, ist es die Freude, dem Tod (Jens Winterstein) beim Aufblühen zuzuschauen, die im Gedächtnis bleibt.
Was nicht heißen soll, die anderen Schauspieler wären schlecht, oh nein: Stefan Diekmann gibt als Ich-Erzähler und Todeskandidat sein nervig-genervtes Bestes und Jan Pröhl stürzt sich lustvoll kopfüber in jede seiner Rollen, sei es die des Wirtes, die von Sophias Vater oder die richige wilde als zweiter Tod. Stephanie Schönfeld gelingt gar das seltsame Kunststück, ihre Sophia zugleich mitreißend wie nöhlig zu spielen.
Die Idee, die Postkarten, die der Ich-Erzähler täglich seinem Sohn Johnny (Aaron Gergely) schreibt und zeichnet, weil er ihn nicht sehen darf, zum Bühnenbild zu machen, ist einerseits naheliegend und der Grund dafür, dass alle Requisiten einfach nach Bedarf von den Schauspielern gezeichnet werden. Andererseits ist weiß-gelb-bekritzelt rein ästhetisch betrachtet recht eintönig – aber, nun gut, wer geht schon wegen der Ausstattung (Henrike Engel) in die Uraufführung einer Romanadaption?
Thees Uhlmanns Grundpämisse, die auch den Anfang seines Romans darstellt – den Tod, der gerade dabei ist, den Ich-Erzähler zu holen, durch Sophias Auftauchen zu unterbrechen und ihn damit ins Leben zu holen – hat was. Nachdem der arme Tod sonst ja immer nur drei Minuten mit seinen meist jammernden, wehklagenden und generell eher unzufriedenen Klienten zu tun hat, hat er nun gleich drei ganze Tage, um Bier, Kaffee, Schlafen und andere Dinge kennenzulernen und endlich aufzublühen.
Leider folgt recht wenig aus dieser Prämisse. Ja, sicher, da wird ein Leben samt Scheitern oft originell und komisch auseinandergenommen, zwischendrin wird’s beim Abschiedsbesuch bei Muttern (Ingrid Domann) teils sentimental, teils arg trivial (halt wie man sich den üblichen Besuch daheim eines 42jährigen ohne dolle Lebensbilanz so vorstellt garniert mit gewissen Dingen, die jeder kennt, der Eltern hat. Oder Kinder ;-)) und rührend bis kitschig, wenn zum Showdown doch noch Vater und Sohnemann einander begegnen. Dass es einen zweiten Tod (Jan Pröhl) gibt, der der Menschheit böse will und den guten, freundlichen Tod (Jens Winterstein) nun attackiert, das ist comichafte Behauptung – das ist handwerklich das, was man von der Dramaturgie halt erwartet, leider nicht mehr. Das ergibt alles in allem einen recht amüsanten Abend mit vielen Lachern, doch ohne Tiefgang.
Ich weiß nicht, ob das am Roman liegt, der unter Unterhaltungsroman firmierte und 2015 auf der Spiegel-Besten-Liste landete – ich habe ihn nicht gelesen und werde ihn nach dem Stück auch nicht lesen. Ich bezweifle, dass das Buch so viel mehr zu bieten hat als seine Bühnenfassung (Jana Zipse, Tilmann Gersch) mit dem Witz eines Boulevardsstücks und den einzelnen, subversiven Momenten.
Von daher: wer einen unterhaltsamen Abend lang dem Tod beim Aufblühen zuschauen möchte, der ist hier genau richtig. Wer mehr möchte, gar nach einer philosophischen Auseinandersetzung mit dem Thema Tod sucht, wird dagegen eher nicht glücklich mit diesem neuen Stück in Essen.