Was Theaterdramaturgen den ganzen Tag machen, gehört angeblich zu den bestgehüteten Geheimnissen an deutschen Bühnen und ist Laien oftmals völlig schleierhaft. Gut, irgendwie erarbeiten sie zusammen mit dem Intendanten den Spielplan und die Texte in den Programmheften (oder was davon noch übrig ist) ergeben sich auch nicht von selbst. Dass sie jedoch Theater über Intendantenwechsel hinaus prägten und sogar zur länderübergreifenden Aussöhnung nach dem zweiten Weltkrieg beitrugen, ist eher die Ausnahme. Aber genau das war sie wohl, Dr. Ilka Boll, der Herbert Somplatzki 1989 eine auch heute noch sehr lesenswerte Biografie widmete: eine Ausnahmeerscheinung des deutschen Theaters.
Sie war die erste Frau, die in der Bundesrepublik diesen Beruf ausübte und 27 Jahre am Essener Schauspiel tätig, das sie noch über ihren frühen Tod hinaus prägte, indem sie Hansgünther Heyme nach Essen holte. Sie förderte nicht nur früh die deutschsprachigen Dramatiker, an denen man später nicht mehr vorbeikam (wie Rolf Hochhuth, Peter Weiss, Hans Magnus Enzensberger und andere), sie schrieb und übersetzte selbst Stücke. Und sie knüpfte schon in den 1960ern Verbindungen sowohl zum polnischen als auch zum französischen Theater. Dank ihr war das Essener Ensemble das erste deutschsprachige Theater, das 1968 in Polen auftrat. Was wiederum bei den entsprechenden Gegenbesuchen polnischer Theater bzw. dem Wirken polnischer Regisseure am Essener Theater dafür sorgte, dass sogar die TIMES Kritiker schickte …!
Was für eine Frau, was für ein Leben für das Theater, die Kunst, die Menschen aber eben auch den Frieden. Wie traurig, dass sie schon 1985 den jahrelangen Kampf gegen den Krebs verlor. Sonst wären wir uns womöglich begegnet. Denn als Heyme nach Essen kam, kamen auch wir hierher.
Und so ist diese Biografie, die anlässlich der Wiedereröffnung des umgebauten Grillotheaters 1989 erschien, erst recht dank des verschlungenen Weges über die Mutter einer lieben Freundin zu mir auch eine eigenartige Wurzel in meine und unsere Vergangenheit … vor allem aber ein Zeitdokument nicht nur das Essener Theater betreffend.
Sollten Sie diesem Büchlein in einem Antiquariat begegnen, schlagen Sie zu, und finden Sie raus, was Theaterdramaturgen tun. Oder zumindest taten, wenn sie Ausnahmeerscheinungen wie Ilka Boll waren.