Ich stand in einer Bahnhofsbuchhandlung herum und stöberte in der Abteilung mit den englischsprachigen Büchern, um mir die Zeit bis zur Abfahrt zu vetreiben. An einem blauschwarzen Cover blieb ich hängen: The Hundred-Year-Old Man Who Climbed out of the Window and Disappeared. Dass es um Jonas Jonassons Debüt zu dem Zeitpunkt bereits einen Hype sondergleichen gab und es überdies einen Riss, ja Graben durch meine ‚Lesefamilie‘ zog, war mir in dem Moment noch gar nicht bewusst …
Dennoch verwundert es mich rückblickend nicht, dass das Buch erst einmal für Monate auf meinen Stapel ungelesener Bücher am Bett wanderte. Immer mal wieder nahm ich es in die Hand. Vorzugsweise, bevor ich auf Reisen ging, denn mit rund 380 Seiten (kleingedruckt) komm selbst ich Viel- und Schnellleserin sogar über längere Zugfahrten. Aber so oft ich es ansah, anlas, so oft legte ich es beiseite. Die erste Seite verlockte mich nicht zum weiterlesen.
Dann erfuhr ich, dass meine Mutter das Buch über Zweidrittel liebte (den Rest dann überflüssig fand), mein Vater jedoch schon recht früh aufgab, weil ihn die ganzen alten Geschichten – also die unwahrscheinlichen, womöglich satirisch gemeinten, aber leider nur platt-komisch erzählten Begegnungen des Hundertjährigen mit Mao, Stalin, Churchill & co. (um meiner eigenen Lesart vorzugreifen) – nervten. Kolleginnen dagegen rümpften die Nase, weil dieses Buch immer wieder als eines für „Nichtleser“ gerühmt wurde. Von ihnen war keine über die ersten Seiten hinausgekommen. Aber wenn ich vielleicht doch einmal das Buch lesen würde, wären sie interessiert an meiner Meinung dazu.
Also. Ähm. Gelesen habe ich es letztlich nur, weil meine Mutter die ersten Zweidrittel dieses Buch so sehr mochte und ich gerade das dringende Bedürfnis hatte, mich ihr nah zu fühlen, weil es ihr nicht so gut ging. Und ohne dies wäre auch ich nicht über die ersten Seiten hinausgekommen – so viele banale Sätze hintereinander in langweilig wiederholtem Aufbau zur ewig umständlichen Schilderung des letztlich immer Gleichen (denn der Hundertjährige will außer Wodka bloß seine Ruhe vor politischen und religiösen Vorträgen), das ist wirklich nicht meines.
Aber ich hab auch Forrest Gump gehasst. Diese Art Humor ist nicht mit dem meinen kompatibel (und beleidigt überdies meine Intelligenz bei zugleich auftretenden Anfällen von Fremdschämen). Ja, über gewisse Strecken kann man sich, wenn man das möchte, über den Erfindungsreichtum Jonassons wundern oder auch freuen (sofern man sich nicht an der banalen Sprache stört). Letztlich bleiben all die Episoden und Anekdoten aus dem Leben des Hundertjährigen genau das – Dönnekes, Flunkergeschichten, aber nichts mit Gehalt. Nichts, was über sich selbst hinauswiese. Nichts, was ich wirklich bräuchte.
Und was bleibt, ist die interessante Erfahrung, ein Buch versuchsweise aus den Augen eines anderen Lesers zu lesen, um sich in diesen einzufühlen. Nun bin ich durch und meine Mutter ist auf dem Weg der Besserung, und damit hat das ganze Unterfangen auf anderem Wege sein (hoffentlich) gutes Ende gefunden. 😉