Ausgelesen: „Purple Hibiscus“

Geschichten, deren Anfänge mich hineinziehen in ihre Geheimnisse, gibt es viele, doch dass deren Enden halten, was sie versprachen, ist selten. Wie wunderbar, einem Buch wie diesem zu begegnen, das mich am Schluss mit offenen Mund zurücklässt, leicht atemlos, als hätte mich auf den letzten Metern einer langen Wanderung durch eine unbekannte, abwechslungsreiche Landschaft ein tropischer Regenguss erwischt und ich drehe mich noch einmal um, ungläubig staunend, wie das Wetterereignis das Ganze erneut verwandelt und ins rechte Licht rückt.

Das Cover von Chimamanda Ngozi Adichies "Pruple Hibiscus"

So fühlte es sich für mich an, Chimamanda Ngozi Adichies Debütroman „Purple Hibiscus“ aus dem Jahr 2004 zu lesen und selbst jetzt, zwei Wochen und anderthalb Bücher später, berührt mich die Geschichte von Kambili, einem 15jährigen Mädchen, das in Nigeria als Tochter eines reichen religiösen Fanatikers aufwächst, noch immer zutiefst.

Würde ich schlicht den Plot nachzeichnen, könnte der falsche Eindruck entstehen, das hier wäre noch eine Coming-of-Age-Geschichte, in der ein junges Mädchen (genau wie ihr nur wenig älterer Bruder) aus dem vertrauten Familienleben herausgerissen wird und sich unter dem Druck der Welt und einiger tragischer Ereignisse zu einer jungen, erwachsenen Frau entwickelt. Dass Adichie dabei mit Kambili als Ich-Erzählerin einen Fokus wählt, der streckenweise so begrenzt wirkt, als trüge sie im Kopf die hohen Mauern der repräsentativen Anwesen, die ihre Familie bewohnt samt aller katholischen Denkverbote und väterlichen Regeln, klingt vielleicht auch nicht neu – Ich-Erzähler, die etwas naiver, unwissender als die Leserin wirken und/oder sind, haben nun mal viele reizvolle Vorteile – aber sie führt sie in besonderer Weise.

So mag Kambilis liebevoll-gehorsamen Blick auf ihren intoleranten und gewalttätigen Vater mich als Leserin immer wieder an den Punkt bringen, wo ich sie wie eine wohlmeinende Verwandte bei den Schultern packen und schütteln, ihr klarmachen will, dass der Mann ein Monster ist, doch das hieße, auch nur einen Schritt weiter sehen zu können, aber weit entfernt davon zu sein, das ganze Bild zu erfassen. Das enthüllt sich erst nach und nach, um in dem für atemberaubenden Ende zu gipfeln. Und was nigerianische Geschichte und Gesellschaft angeht, die hier immer wieder in die Handlung eingreifen, nun, da hätte ich einiges zu tun und zu lesen, bis ich auf dem Wissensstand der anfänglich als naiv erlebten Kambili wäre.

Hinzukommt, dass alle Figuren komplexe Wesen sind, niemand ist nur gut oder schlecht, die Akteure wie auch die Gesellschaft, in der sie agieren, ist, wie Menschen eben sind: ein Mix aus den unterschiedlichsten Anlagen und Möglichkeiten, diese zu entfalten, aber allesamt zu Erkenntnis und Weiterentwicklung befähigt. Und überdies in der Lage sich zu entscheiden, für einander dazu sein.

Und das ist das Licht, das Leuchten, das ich aus diesem Roman, dessen Geschichte streckenweise so düster, gewalttätig und beklemmend ist, mitnehme: die Hoffnung, dass wir alle es besser machen können. Anders ausgedrückt: Für mich ist dieses Buch einerseits die Reise in eine mir über weite Strecken fremde Welt fern meiner eigenen Erfahrungen, die aber dank des großen Könnens von Chimamanda Ngozi Adichie für alle Sinne miterlebbar werden. Andererseits enthält es mit der Gewalterfahrung an sich und den unerwarteten Wegen, sie zu überwinden, etwas ungemein Vertrautes. Aber die Hoffnung, die darin liegt, wie Adichie ihre Figuren die Gewalt durch- und überleben lässt, ist am Ende von überraschender leuchtender Schönheit.

Wobei man nun auch noch sehen kann: großartige Romane führen manchmal zu stammelnden Rezensentinnen … 😉

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