Als Leserin verleibe ich mir das Werk eines anderen Menschen geradezu ein – die Worte, die die Gedanken und Vorstellungen des anderen transportieren, werden in meinem Kopf (wieder) zu Bildern, Geräuschen, Gerüchen und verbinden sich mit meiner eigenen Gedanken- und Erfahrungswelt. Zugleich kommt es natürlich vor, dass ich lesend Spuren in Büchern hinterlasse. Mal sind diese unbeabsichtigt – all die armen Bücher, die ich beim Frühstück Grapefruit löffelnd las und lese! -, mal sind es absichtliche Markierungen mit Klebezetteln, Bleistiftstrichen und manchmal auch Eselsohren, wie in diesem Buch.
Dass es in Padma Lakshmis „Love, Loss, and What We Ate“ (Ecco 2016) diese ausnahmslos Rezepte traf – etwa das Kumquat & Ginger Chutney auf Seite 67 oder den Chili Cheese Toast auf Seite 99 -, treibt das Prinzip des Einverleibens beim Lesen nur auf die Spitze und passt zum Buch wie zu dem Kontext, in dem es zu mir fand.
„Love, Loss, and What We Ate“ ist ein Memoir, wie das Cover verrät, also autobiografisch orientiert. Padma Lakshmi zeichnet darin ihr Leben auf drei Kontinenten nach – aufgewachsen in Indien, später in den USA lebend macht sie als Model zunächst in Europa Karriere, dreht Filme und Fernsehshows, wird für die Kochshow „Top Chef“ mit einem Emmy ausgezeichnet, schreibt (Koch)Bücher und setzt sich für eine bessere Versorgung von Endometriose-Patientinnen ein. Die Elemente des Titels – Liebe, Verlust und was wir aßen – ziehen sich dabei wie ein roter Faden durch das Ganze.
Ohne meine Freundin Gesine wäre ich dem Buch vermutlich nie begegnet. Wir waren kurz nach dem Jahreswechsel im Folkwang Museum zum Spaziergang durch die ständige Sammlung verabredet (die immer wieder neu gehängt und arrangiert wird, sodass es jedes Mal ein Mix aus Entdeckungsreise und Wiedererkennen ist) verabredet, wo sie es mir als Neujahrsgeschenk überreichte. Weil das „Familienalbum“, mein aktuelles Projekt, doch auch ein Memoir ist. Und weil Essen und Kochrezepte aller Art immer wieder in unseren (Telefon)Gesprächen auftauchen. Obendrein hatte ich als Kind ein ausgesprochenes Faible für den indischen Subkontinent, der in den fantastischen Spielen von meiner Freundin Konni und mir eine große Rolle spielt, und liebe exotische Gewürze (und Rezepte) aller Art.
Dass ich dagegen Padma Lakshmi zuvor nie bewusst wahrgenommen hatte und im Gegensastz zu ihr die Modewelt für mich vollkommen uninteressant ist, tat der Lesefreude keinen Abbruch. Okay, manches habe ich lediglich quergelesen, etwa Modebusiness oder Details aus dem US-TV-Geschäft betreffend, anderes dagegen regelrecht verschlungen, wie all die Aufenthalte in Indien als Kind und Jugendliche oder manch New-Yorker-Szene mit ihrem (Ex)Mann Salman Rushdie. Dessen Werke hatte ich eigentlich längst wieder lesen wollen; seit einer Begegnung mit seinen „Midnight Children“ in den 1980ern kam es nicht mehr dazu – aber ich muss sagen, ihn nun dank Lakshmis Memoir durch die Augen einer ihn liebenden, aber von ihm dank seiner unangenehmen, überheblichen Art immer wieder verletzten jungen Frau gesehen zu haben, lässt mich zögern. Es gibt ja noch so viel anderes zwischen Buchdeckeln zu entdecken.
Etwa die Tatsache, dass Lakshmi als dunkelhäutige Frau in Europa mehr Chancen in der Modebranche hatte als in den USA. Wie weiß-blond fixiert man dort anscheinend nach wie vor auch oder womöglich erst recht in diesem Geschäft ist, dessen Bilder den Blick so vieler junger Frauen auf sich selbst prägen, war mir nicht bewusst. Naiv, wie ich in diesen Dingen bin (ich hatte mit 14 Jahren beschlossen, ich sei ohnehin hässlich, nichts zu machen, und so das Thema Aussehen für mich weitestgehend erledigt), hätte ich gedacht, je mehr Menschen unterschiedlicher Hautfarben irgendwo zusammenleben, um so mehr bildet sich das auch etwa in der Mode ab.
Oder dass die Kombination Model – also dünne Frau – und genussvoll Essen, auf hohem Niveau Kochen und sich auch noch ernsthaft mit dem Thema Ess- und Kochkultur befassen, anscheinend immer noch für viele beinahe außerirdisch anmutet. Wieso eigentlich? Und wieso müssen Frauen sich immer noch anhören, dass Regelschmerzen halt dazugehören, selbst wenn sie überwältigend sind, sodass ja niemand rechtzeitig genauer hinschaut und wirklich gravierende Diagnosen wie Endometriose übersehen werden können?
Und wieso fühlen sich Frauen so oft, als wären sie nicht gut genug?
Fragen über Fragen, die noch viele Wochen nach der Lektüre nachhallen. Was unbedingt eine gute Sache ist bei einem ausgelesenen Buch. Allerdings muss ich mich jetzt entschuldigen. Der Magen knurrt, das Frühstück ruft und die Morgenlektüre natürlich auch.