Bevor der Stapel ausgelesener Bücher umfällt und Schaden anrichtet, setze ich mich besser mal hin, und schreibe darüber …. nicht, dass mir am Ende gänzlich entfällt, was ich beim Lesen dachte.
Vielleicht lag es nicht nur an allen möglichen Turbulenzen des Lebens, die mich vom Blog im Allgemeinen fernhielten, sondern im Besonderen auch ein Stück weit an Christiane Dieckerhoffs „Meine fremde Mutter“ (erschienen bei Piper 2022), dass ich so lange zögerte? Das las ich schon vor einer ganzen Weile und war hin und hergerissen.
Es geht darin um Rabea, die nach dem Tod ihres Vaters erfährt, dass praktisch ihre ganze Lebensgeschichte eine Erfindung ist: weil sie eine gesuchte RAF-Terroristin ist, ließ ihre biologische Mutter sie einst bei ihren vermeintlichen Eltern zurück. Nun macht sich Rabea auf die Suche nach dieser Frau und taucht dabei tief ein in den deutschen Herbst. Ein wenig unvermutet ist dieses Thema mit den teils bizarr anmutenden Fahndungen nach Angehörigen der 3. Generation der RAF derzeit wieder ins Licht der Öffentlichkeit geraten. Allerdings geht es Dieckerhoff nicht um Aufklärung à la „so radikalisierten sich einst Linksextreme“, sondern um das Erzählen der Kollision von zwei Lebensgeschichten, eben der von Tochter und biologischer Mutter. Teils kommt das Buch fast wie ein urbaner Entwicklungsroman daher, teils funktioniert es wie ein Krimi und am Ende hat es etwas von einem Thriller. Das ist sicher spannend, zumal Christiane Dieckerhoff ihr Handwerk versteht, und doch hätte ich persönlich dem Buch mehr Mut zu weniger gewünscht: weniger Krimi/Thiller, weniger Abschluss in der Mutter-Tochter-Geschichte, weniger Versöhnung. Aber das ist vermutlich Geschmackssache; ich mag offene(re) Schlüsse, weil sie für mich die Nichteindeutigkeit des Lebens meist angemessener einfangen, andere hassen genau das.
Und wer sich jetzt fragt, Moment, aber wenn das Buch spannend ist und generell lesenswert, wo ist denn das Problem, was hindert jemand dann daran, darüber zu schreiben, Glückwunsch, gut aufgepasst!
Ein Stück fehlt nämlich noch – meine Erwartungen ans Buch. So sehr man’s möchte, ganz ohne geht man so gut wie nie an ein Buch heran. In diesem Fall um so mehr, als ich Christiane Dieckerhoff nicht nur als Autorin, sondern auch persönlich kenne und schätze. Obendrein hatte ich manches aus dem Entstehungsprozess im Lauf der Zeit hier und da mitbekommen und ich kannte auch ihren wunderbaren Mann, über den sie so bewegend im Vorwort des Buches schreibt. Deshalb, so fürchte ich, hatte ich an dieses Buch besondere Erwartungen – und war womöglich wegen eben dieser enttäuscht vom Ende. Aber liegt damit nicht die Ursache außerhalb des Buches und ist es dann irgendwie unfair, über diese zu schreiben? Während des ganzen Leseprozesses hatte ich mich immer wieder gefragt, wie würde ich dieses oder jenes lesen, empfinden, bewerten, wenn dieses Buch von einer x-beliebigen, mir unbekannten Person wäre?
Ich weiß es nicht und werde es nie wissen. Aber wenn Sie nun „Meine fremde Mutter“ lesen, vergessen Sie meine Grübelei und überlassen sich dem Buch. Und falls Sie hinterher Lust haben, in einem Kommentar Ihre Ansicht zum Buch meiner ergänzend zur Seite zu stellen, freue ich mich.