Geistreich

Ein weiterer schmaler Band, der es in sich hat: Ghosts von Eva Figes aus dem Jahr 1988 ist für mich eine geistreiche und poetische Meditation über Vergänglichkeit. Ein Tageslauf, ein Jahresrund, eine Frau, die ganz alltäglichen Beschäftigungen nachgeht. Nichts Spektakuläres, denn in einem gewissen Alter sind verstorbene und durch Demenz der Gegenwart entrückte Eltern nichts Ungewöhnliches. Sparsame Handlungen, und doch ist am Ende nicht nur das Elternhaus ausgeräumt und die Vergangenheit sortiert, obendrein ist jede Figur einen Platz weiter gerückt: Die Kinder sind Eltern, die Großeltern nurmehr Erinnerungen, und die Mutter, das erzählende Ich, begreift, dass sie nun deren frühere Rolle als Bewahrererin und Erzählerin der alten Geschichten übernommen hat.

Das Besondere daran ist zweierlei: dass Figes mit bemerkenswerter Klarheit über diese Dinge spricht, denen keiner von uns entkommen wird – vor allem das Alter, der Tod und das Vergessen, in welcher Reihenfolge auch immer -; und wie sie dies tut.

Rinse out, he says, having said it so many times before, and into the white bowl of flowing water I spit blood. Bits of mercury, tooth, and blood.

Ein Zahnarztbesuch, Routine, mit wenigen Worten präzise eingefangen, in einem Rhythmus, der an Lyrik denken lässt. Und weiter:

A bit more of myself goes down the drain. The drill in my head is matched by the sound of a pneumatic drill beyond the window, where scaffolding rises, dark rainclouds pass. I hear a thunder of girders, the sound of buildings rising and falling.

Aufstieg und Fall von menschlichen Bauten als Wellenbewegung zu sehen, als etwas, das kommt und geht wie Ebbe und Flut vielleicht, und von dem am Ende – denn das kommt unweigerlich, früher oder später – genauso wenig Spuren bleiben werden, was für ein Vergleich. Zeitrafferbilder treffen auf Stilleben, Schönheit wird sichtbar, für einen Moment, und trägt schon ihr Vergehen in sich.

Kein Wunder, dass angesichts des endlosen Nichts am anderen Ende der Vergänglichkeit so manche Aufgabe im Jetzt aufgeschoben wird, wie hier, im verwaisten Elternhaus der Erzählerin:

Having opened all the windows, including the french windows on to the terrace, having got soem air moving through the stuffy rooms, I ran the cold tap in the kitchen until the brown water turned clear, and filled the kettle. This time I had even brought a notepad, and a tape measure, determined to be businesslike about the whole procedure. But I postponed the moment, knowing it could wait. Just half an hour, I thought.

Was alles zusammenhält – die Handlungen, die Erinnerungen, aber vor allem die Absätze, die wie die Strophen eines epischen Gedichtes anmuten – ist eine traum-hafte, trance-artige Qualität, eine sehr spezielle Mischung aus Bewusstseinsstrom und Sprachfluss. Das gilt auch für das Verbrennen alter Papiere im Garten des Elternhauses:

Bits of dark grey ash drift skyward, lazily, catching in my hair, rising towards the roof. Through the dark wavering air, the smoky atmosphere, earth and sky lose their definition, turn murky, and dissolve.

If it could all dissolve now, unreality into unreality, flesh turning to fire and air, bones cracking to purity. If the spirit could waft upward, into the blue, forget-me-not, but promising forgetfulness, true blue clarity, pure and endless.

Es gäbe noch so viele Stellen, die sich zitieren ließen, die man herauslösen könnte aus diesem schmalen, durchkomponierten und in der Tat eleganten Werk (wie die Kritiker in den 1980er Jahren bereits betonten). Doch der Geist, der aufsteigt, „ins Blaue, Vergissmeinnicht, das jedoch Vergessen verspricht, die echte, blaue Klarheit, rein und endlos“, ist nicht zuletzt, weil er sich selbst in seinem Konjunktiv verdreht und damit die evozierte Perfektion wieder zerstört, noch bevor sie zu Kitsch gerinnen kann, schlicht und ergreifend das treffendste Schlussbild. Bitte entschuldigt mich, ich muss das Buch gleich noch einmal von vorn lesen …

 

 

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