Es heißt immer, man solle ein Buch nicht nach dem Cover beurteilen. Aber manches Cover sagt nichtsdestotrotz eine Menge über den Inhalt (oder die Autorin?) aus: So, wie ich beim Foto der Dichterin Sarah Kirsch nicht sagen kann, ist es rührend oder mutig oder beides, so wenig eindeutig ist meine Reaktion auf den Inhalt. Gut, Lyrikbände sind notwendigerweise wie Anthologien – es ist unwahrscheinlich, dass man alles, was dort zwischen zwei Buchdeckeln versammelt ist, mag.
Mir erscheint dieses Bändchen von 1992 in vielerlei Hinsicht noch typisch für die späten 1980er bzw. frühen 1990er. Der Trend, den Alltag in die Literatur hineinzunehmen und auch in der Lyrik Umgangssprache zu verwenden, ist deutlich spürbar. Manchmal scheint Kürzestprosa lediglich durch bündigen Satz und – nennen wir es: weder grammatikalisch noch semantischen bedingten – Zeilenumbruch zur Lyrik ‚aufgehübscht‘. Ein Verfahren, das jedoch auch den Zauber der Sprache und mit ihm den des Augenblicks enthüllen kann:
Edelstein wird er genannt
Der Eisvogel verließ zum ersten
Mal das Nest flatterte in die
Zweige während hinter dem
Mühlstein die alte
Gewiefte Katze lauerte. Vergeudung
Schöner Farben gerade gelernter Anmut.
Ein Gedicht zum Verlieben, wie ich finde. Besonders auch dieses:
Keltisch
Ich sehe eine Erde die mir
Gar nicht gefällt Sommer
Vogellos Kühe
Milchlos Männer
Mutlos werde mich
Lieber! empfehlen
Und das dritte werden vermutlich viele Menschen, die sich der schreibenden Zunft zurechnen, wenigstens immer mal wieder mit einem Stoßseufzer aus tiefstem Herzen unterschreiben können:
Der Chronist
Es quellen aus der Feder zartgeschnäbelt
So schwarze Tintenzüge dunkel erglänzend.
Ein Strom von Wiederholungen. Und Grauen
Entspringt der zitternden Hand. Sie wandert
Bei Tag und bei Nacht elend übers Papier.
Zu preisen gibt es heute nicht mehr viel.
Und deshalb ist des Schreibens müde die Hand.
So stelle ich dann fest, selbst, wenn manches zeitgebunden und modeabhängig scheint, im wesentlichen überdauert Sarah Kirschs Lyrik. Zumindest gelingt es ihr, mich wieder und wieder zu berühren.