Dass auch Kurzkrimis ganz großes Kino sein können, ist das eine. Dass sie in bester Slam-Manier die Musik der Sprache nutzen, um im Rhythmus des Kings das ‚Ghetto‘ aka die Bergbausiedlung Tremonia vor fiesen Immobilienspekulanten zu retten, ist was ganz Besonderes. Und so freu ich mich wie eine Schneekönigin, an dieser Stelle den Kollegen Karr & Wehner von ganzem Herzen zum Friedrich-Glauser-Preis für „Hier in Tremonia“ gratulieren zu können! :-))
Und weil es eine wunderbare & ehrenvolle Aufgabe war, für die Preisverleihung auf der Gala in Halle (Saale) dafür einen passenden Textauszug zu finden, gibt’s diese Strophe(n) dann gleich hier zur Einstimmung:
[…]
Und die Kapelle spielt …
Hier draußen in der alten Schule, in der Aula, im
ersten Stock.
Die Knappenkapelle übt für das Fest, die Weih-
nachtsfeier, hier in der Klötzchenschule, mit den Kindern,
mit den Eltern, den Großeltern. Wie sie das Fest
feiern, schon immer,
hier in der Siedlung.
Sie üben »Schneeflöckchen Weißröckchen« und sie
üben »White Christmas« und sie üben »Es ist für uns
eine Zeit angekommen«.
Und dann …
spielen sie die Lieder für die Siedlung.
Die Rita, der Kalle und der Schorsch.
Der Klaus und der Rudi und die Uschi.
In der Siedlung,
wo die Männer zusammenhalten.
Und die Frauen zusammenhalten. Und mitspielen in
der Kapelle. Vorneweg.
Denn sie sind die Knappenkapelle Tremonia, die spielt,
wann immer es etwas zu spielen gibt. Auf dem Schützenfest,
der Beerdigung, der Hochzeit und bei Tremonia
06, wenn es ein Heimspiel ist.
Sie spielen das Steigerlied und sie spielen »Der Pott ist
grün« und den »Mond von Wanne Eickel«. Und sie spielen
den Song vom King.
Hier, mitten im Ghetto.
Und seine Mutter ist tot.
Die Mutter vom Klaus, der wohnt in der Nummer
eins, an der Straße mit den Zechenhäusern. Hier in der
Siedlung. Der Klaus lebt allein in dem Haus, hier lebt
er schon immer und hier wird er bleiben, auch wenn
sie ihm schreiben, dass er raus soll. Aus dem Haus und
raus aus der Siedlung.
Die Gesellschaft hat ein paar Häuser verkauft, die
Nummern eins bis drei und drüben die sieben bis zehn.
Da soll die neue Wohnanlage hin, die die MAGMA bauen
will.
Hier … in der Siedlung.
Und auch der Schorsch bleibt hier.
In der Nummer acht. Mit dem kurzbeinigen Hund,
dem Mischling aus allen Kötern der Siedlung, und der
dreifarbigen Katze und den Karnickeln.
Im Stall hinterm Haus.
Deshalb zerreißt er den Brief, in dem steht, dass er ge-
hen muss, und holt sich ein Bier und trinkt es im Garten.
Mit dem Rudi und der Uschi und den andern Nachbarn
am Zaun.
Denn man gibt auf sich acht,
hier in der Siedlung
Und auch der Rudi bleibt hier,
das ist klar, das ist so und das bleibt so.
Denn ein Mann ist ein Mann und ein Wort ist ein
Wort.
Hier in der Siedlung.
Deshalb hilft man sich, mit einem Wort und einem
Rat, mit einer Hand und einer Tat. Damit es bleibt, wie
es ist, wie es war und wie es wird.
In der Siedlung.
Wo die Männer zusammenhalten.
Und die Frauen zusammenhalten. Und mitspielen in
der Kapelle. Vorneweg.
[…]
(aus „Hier in Tremonia“, S. 105f)
Und für alle, die jetzt auf der Stelle den ganzen Text haben müssen, um ihn in seiner vollen Schönheit zu genießen: zu finden ist „Hier in Tremonia“ in der Anthologie „Killing You Softly“, hrsg.v. Peter Godazgar im Kbv-Verlag.