Literaturnotiz: Hell und Laut

Eigentlich bin ich nicht zwingend Fan historischer Romane, doch Sarah Raichs „Hell und Laut“ packte mich gleich mit seinen ersten Sätzen:

„Was sagt das Wasser?“ Sie überlegte einen Moment und durchstieß mit ihrem Finger die glitzernde Oberfläche des Baches. Sie betrachtete ihn, ein kleines Würmchen, unter der zittrigen Haut des Wassers in Splitter zerfallend, die sich im letzten Moment doch aneinander festhielten. […] Das Wasser umschloss ihre Finger, damit änderte sich das Geräusch, wenn, ja … was machte es, das Wasser? War salzen, ein Springen, das eigentlich zum Tanzen gehörte, das richtige Wort? Oder war es eher ein skikken, ein dahinschießendes Springen, in dem auch das Blitzende. Glitzrige zum Ausdruck kam? Oder sollte sie lieber hopfezzen benutzen, was Irmentraud sagte, wenn sie hüpfte und sprang, weil der Vater heimkam?

Sarah Raich, „Hell und laut“, S. Marix Verlag, 2023, S. 5

Einem Kind zuzuhören, wie es, noch gänzlich ohne das zu ahnen, Dichterin und Forscherin wird, wie es so genau auf die Natur wie die Sprache achtet, das ließ mich sofort aufmerken und ich wusste, diesen Roman wollte ich unbedingt lesen.

Das Cover des Romans "Hell und Laut" von Sarah Raich zeigt eine nachdenkliche, junge Frau, über deren Bild regenbogenfarbene Farbwolken liegen
Sarah Raichs „Hell und Laut“ – ein Roman über das Leben von Hrotsvit von Gandersheim

Zumal dieses Kind ein ganz besonderes ist, nämlich Hrotsvit von Gandersheim, die im 10. Jahrhundert die erste deutsche Dichterin, Dramatikerin und Geschichtsschreiberin überhaupt wurde. Vielmehr als diese Tatsache über sie und ein, zwei ihrer Gedichte kannte ich vor der Lektüre des Romans nicht. Jetzt wüsste ich gerne mehr, würde gerne mehr über sie erfahren und vor allem mehr von ihr selbst lesen. Immerhin, ihre Stücke und das Buch über die Geschichtes des Stiftes Gandersheim sind heute noch erhältlich.

Doch zurück zu Sarah Raichs Buch. Sie erzählt in „Hell und Laut“ nicht allein Hrotsvits Lebensgeschichte beginnend mit ihrer Kindheit in Rheinhausen über die Verlobung mit Konrad dem Roten, aus der sie die Ränke von Königin Edgitha retten und dann die lange, schwierige Suche nach einem Platz im Leben, an dem sie tun kann, was sie am besten kann: schreiben. Vielmehr verschränkt die Geschichte ihrer Protagonistin mit der anderer, historischer Persönlichkeiten ihrer Zeit.

Das ist einerseits sinnvoll, denn ich vermute, die wenigsten Menschen kennen sich heutzutage im 10. Jahrhundert aus, wüssten, wer all die Könige und Fürsten sind, die sich bekriegen, etc. Andererseits stellte ich schnell fest, das Springen zwischen den Perspektiven verschiedener Figuren sorgte bei mir für ein Auf und Ab der Aufmerksamkeit. Die Passagen aus männlicher Sicht schienen mir unterschiedlich genau ausgearbeitet – Konrad der Rote, den die eigene Hilflosigkeit und Wut zwischen der für ihn vorgesehenen Rolle und seiner Liebe zu Männern förmlich zerreißt und der Hirtenjunge Piero, der später Königin Adelheid in Italien retten wird, werden nachvollziehbar geschildert, doch der Intrigant Liutprand, Bischof von Cremona, nervte mich in seinem Schwanken zwischen Größenwahn und Feigheit irgendwann nur noch. Das führte im Verlauf der Lektüre dazu, dass ich seine Passagen immer wieder lediglich querlas, während ich mich auf die aus Irmentrauds, Riccardis‘, Edgithas und Rahilds Sicht sehr viel besser einlassen konnte. Am interessantesten blieben jedoch bis zum Schluss die Kapitel aus Hrotsvits Sicht, weil ich in diesen Kapiteln zugelich den Eidnruck hatte, hier passt sich die Sprache der Erzählung der Suche der Figur nach ihrere eigenen Stimme an und wird ihr so tatsächlich gerecht. Das – eine eigene Sprache – hätte ich jeder Perspektivfigur gewünscht.

So bin ich am Ende hin- und hergerissen – bin froh, das Buch gelesen und neugierig auf Hrotsvit von Gandersheim geworden zu sein, habe aber so etwas wie einen schalen Nachgeschmack zurückbehalten. Da wäre mehr drin gewesen. Was natürlich Meckern auf ziemlich hohem Niveau ist und auf gar keinen Fall jemand davon abhalten sollte, sich mit Sarah Raichs „Hell und Laut“ ins 10, Jahrhundert zu stürzen!

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