Konzertnotiz: Wien um 1900

Dass mich bei „Wien um 1900“ in der Essener Philharmonie der Abschluss des multimedialen Festivals „Doppelbildnisse“ erwarten würde, zu der u.a. auch die Ausstellung „Frau in Blau“ gehört, lag auf der Hand. Dass es neben dem Programm der Essener Philharmoniker auch noch einen zweiten Teil mit einer Text-Tanz-Kombination und ein Pausenprogramm mit Operettenmusik und Wiener Speisen geben würde, erfuhr ich erst aus der Zeitung. „Feiern wie im Wien um 1900“, las ich sinngemäß, und war gespannt.

Das Programmheft der TUP Theater und Philharmonie Essen zu "Wien um 1900" zeigt auf dem Cover einen Sonnenuntergang gesehen über die Dächer der Stadt Wien hinweg. Vorn links noch etwas im Schatten ist die Kuppel der Karlskirche zu sehen. Das Programmheft selbst ist weiß und bildet einen starken Kontrast zum dunklen Untergrund, vor dem es an einer Blumenvase mit einer verblühten Rose lehnt. Unter dem Programmheft lugen eine Handvoll abgefallener Blütenblätter hervor - Aufbruch und Verfall als Porgamm, sozusagen,

Los ging’s mit Lehárs Gold und Silber Walzer, von dem die Auftraggeberin der Komposition, Fürstin Metternich, einst meinte, er wäre so schön, man könnte meinen, er hätte ihn freiwillig geschrieben. Typisch wienerisches Bonmot, Schmäh kommt halt nicht zuletzt von schmähen, und so launig wie Thorsten Stepaths unterhaltsame wie informative Moderation des Konzerts.

Die Ouvertüre und Serenade der Balletts „Der Schneemann„, die Erich Wolfgang Korngold mit gerade mal 11 Jahren komponierte, war schon mehr nach meinem Geschmack. Poetisch, fantasievoll, aber gar nicht kindlich oder gar unreif – wie muss es im Kopf des jungen Korngold gewesen sein, dachte er in Musik beziehungsweise wie hat seine ungeheure Begabung für diese sein Denken beeinflusst? Und wann bitte sehr bringt mal wer hier den „Schneemann“ auf die Bühne, konzertant oder als Ballett?

Auch das folgende Stück, Gustav Mahlers Sinfonie No. 5 in G-Moll, möchte ich nun, da ich seine wortlose Liebeserklärung an Alma (Nochnicht)Mahler in Form des 4. Satzes, des Adagiettos, gehört habe, wenigstens einmal ganz erleben. Spannend, dass die Angebetete, ihres Zeichens selbst u.a. Komponistin, auf die Noten zu diesem Satz schlicht mit „Ja“ antwortete – ich als Nichtmusikerin konnte die Liebe hören, aber nicht die Frage. Womöglich bräuchte ich also gleich noch einen Crashkurs in Kompositionverstehen?

Anschließend gab es von Richard Strauss die Walzerfolge aus dem „Rosenkavalier„. Warum ausgerechnet etwas daraus, hatte ich noch beim Blick ins Progammheft gedacht. Ich finde Richard Strauß und viele seiner Werke ausgesprochen interessant, hatte bisher den „Rosenkavalier“ jedoch gemieden wie der Teufel das Ave Maria. Allein der Titel klang mir viel zu operettensüß. Doch, weit gefehlt, denn wie ich erfuhr, ist das Strauß‘ moderne Antwort auf „Die Hochzeit des Figaros“ seines großen Vorbilds Mozart – und die Walzer sind allesamt ironisch gebrochen. So schräg und wild und anders kann Walzer also auch klingen, was für eine Bereicherung!

Der Abschluss mit Johann Strauss Sohns Walzer „Künstlerleben“ war wohl unvermeidlich, aber ich hätte ihn nicht mehr gebraucht – und brauchte genau wie meine Begleiterinnen die Operettenstücke in der Pause nicht. Wir begaben uns lieber mit unseren Getränken hinaus auf die Terrasse.

Für den zweiten Teil kombinierte Marijke Malitius Hugo von HoffmansthalDer Tor und der Tod“ mit Ausschnitten aus Ben van Cauwenbergs Abschiedsballett „Not Me, But Me„, das zu Erwin Schulhoffs Streichquartett No. 1 getanzt wird. Einerseits zeigte sich, dass etwas dran war an den Premierenkritiken von „Last“, die Cauwenberg hier bescheinigten, eine andere Seite von sich mit einer anderen Formensprache zu zeigen – dazu noch eine weniger süßliche, weniger kitschige, mit der ich mehr anfangen konnte als mit all seinen „Hommagen“. Andererseits fehlte mir stellenweise die Präzision in der Ausführung und ob die drei Element Text, Tanz und Livemusik des Velvet Quartetts optimal zusammenpassten, scheint fraglich. Hugo von Hoffmansthals Texte haben für mich das „Problem“, das sie mit ihrem besonderen Rhythmus, ihrer Fremdartigkeit und Schönheit oft den Inhalt des Gesagten derart überlagern, dass man ihn kaum mitbekommt. Das wird nicht besser, wenn die Schauspieler – Philipp Noack als sehr engagierter Tor, Janina Sachau als schillernder Tod im roten Glitzerkleid – wenig zu spielen, aber um so mehr zu sprechen haben, dabei jedoch zugleich mit der exquisiten Musik und dem Ballett um Aufmerksamkeit konkurrieren.

Tja, und wie lautet nun mein Fazit? Ein Sommerabend mit gemischten Eindrücken, manche davon sicher bleibend, andere rasch vergessen. Und wer jetzt meint, ich hätte die Sache mit dem „Feiern wie im Wien um 1900“ und den dazugehörigen Speisen vergessen, irrt. Wir fanden das kleine Buffett auf der anderen Seite der langen Theke bloß erst, als wir am Ende der Pause von der Toilette zurückkehrten. Und ob man im Wien der vorletzten Jahrhundertwende einen Kaiserspritzer oder den Sissicocktail trank, weiß ich leider nicht.

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