Am Ende einer langen Pause

Ooops, mehrere Jahre dauerte sie, meine selbstgewählte Lese-Pause von Alice Munro. So lange, dass ich gar nicht mehr weiß, wann ich ursprünglich mit „The Moons of Jupiter„, einem Sammelband mit Geschichten aus den 1980ern, den Versuch startete, die Pause zu beenden.

Ich erinnere mich weder, wie ich an das Buch kam – ist es das, was mir eine Freundin überließ, die sich bereits sicher war, sie sei inzwischen Munro über, und ich dachte da, nein, irgendwann mache ich wieder einen Versuch? -, noch habe ich eine Ahnung, worum es in den ersten Geschichten darin geht: „Chaddeleys and Flemings“ wie auch „Dulse“ haben keinerlei Spur in meinem Gedächtnis hinterlassen. „The Turkey Season“ – war da nicht was mit einer Schlachterei, einer Fabrik, und war das nicht die Geschichte einer recht jungen Ich-Erzählerin, etwas über beobachtete/missverstandene Liebe? Und um Weihnachten natürlich, denn da Munro ja nun mal Kanadierin und keine US-Amerikanerin ist, ist das ihre Truthahnsaison.

„Accident“, so der Titel der vierten Geschichte. Was für ein Unfall bloß? Eine Geschichte in der dritten Person in den 40er Jahren, aha, aber auch sie hat sich mir nicht eingeprägt. Was aber nicht vielmehr besagt, denn wie viele Erzählungen bleiben einem schon über Jahre hinweg im Kopf?

Selbst „Bardon Bus“, mit dem ich vor ein paar Tagen oder vielmehr Abenden wiedereinstieg ins Buch, weil halt genau da das Lesezeichen lag, hat mich vor allem wegen des Anfangs gepackt:

I think of being an old maid, in another generation. There were plenty of old maids in my family. I come of straitened people, madly secretive, tenacious, economical. Like them, I could make a little go a long way. A piece of Chinese silk folded in a drawer, worn by the touch of fingers in the dark. Or the one letter, hidden under maidenly garments, …“

The Moons of Jupiter, p. 110, Vintage Books 2007

Stimmt, so fängt das an mit der Ich-Erzählerin, die, wie die Autorin, Autorin ist, und sich in Erinnerungen an eine Affäre verliert mit einem Mann, den sie offenkundig erfolglos zu vergessen versucht. Alles andere als altjüngferlich, aber dafür intelligent ironisch, so hab ich’s gelesen. Und so ging es für mich mit Munro Abend für Abend weiter.

Auch in der folgenden Geschichte „Prue“ geht es um eine unglücklich verliebte Frau, eine Affäre. Und in „Labor Day Dinner“ um Roberta, die mit ihrem George auf dem Land ebenfalls nicht gerade die Liebe ihres Lebens lebt – da sind sogar die Töchter, Teenie die eine, Kind die andere, beide aus erster Ehe, gewissermaßen still schockiert, wie sich ihre Mutter in der Beziehung selbst aufgibt oder doch aufzugeben scheint. Eine Miniaturstudie eines Frauenlebens, in der die 1970er und 80er deutlich zutage treten, eine winziges, sehr gut beobachtetes und pointiert, dabei unaufgeregt geschildertes Gesellschaftsstück, so könnte man das vielleicht nennen.

„Mrs. Cross and Mrs. Kidd“ ist ein tragikkomisches Drama im Altenheim, bissig und bedrückend, weil man der bangen Frage, ob einem ähnliches blühen wird dereinst, und welche Rolle man dann wohl spielen wird im Zirkus der alten Eitelkeiten, beim Lesen praktisch nicht entkommt.

„Hard-Luck Stories“und „Visitors“ sind gute Bettlektüre, interessant genug, sie zu Ende lesen zu wollen, aber nicht zu aufregend, so dass man um den Schlaf gebracht würde.

Was bei der letzten, titelgebenden Geschichte „The Moons of Jupiter“ dagegen durchaus der Fall gewesen sein mag. Darin hat die Ich-Erzählerin, eine alleinlebende, mittelalte Schriftstellerin, gerade ihren alten Vater auf die Herz-Station des Krankenhauses in der Stadt gebracht, und es sieht nicht gut aus für ihn, mit oder ohne OP. Was angesichts der Lage und ganz nach Art Munros eher sachlich am Rande, zwischen den Zeilen und in den Lücken zwischen den Absätzen zum Tragen kommt. Und genau da hat es mich erwischt und berührt, erst recht mit dem Ende – das als offen zu bezeichnen, die Untertreibung des Jahres wäre. Man weiß, der Vater hat sich zur OP entschlossen und die steht nun bevor. Und die Erzählerin ist ganz allein damit, hat sich im Planetarium versucht abzulenken. Aber dann muss sie eben doch zurück ins Krankenhaus.

Mehr erfahren wir nicht. Da endet die Geschichte und ich fühlte mich als Leserin mindestens so allein mit der Situation wie die Erzählerin oder wie ihr Vater.

Ob ich dann stundenlang nicht schlief, weil ich nicht wusste, wie mit dem schmerzenden Nacken (immer noch viel zu wenig Bewegung dank Hallux-OP-Folgen) liegen oder weil da doch was in mir kreiste, weil die Geschichte natürlich auch an die Geschichten andockt, die gerade in meiner Feamilie, mit meinen alten Eltern, die alles andere als bei bester Gesundheit sind, präsent sind? Ich weiß es nicht. Aber ich bin mir ziemlich sicher, irgendwann ist das nächste Buch von Alice Munro in meinen Händen und ich werde gern eintauchen in ihre so schwer fassbaren, unalltäglichen Alltagsgeschichten.

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