Dem 1943 erschienenen Roman „The Lady in the Lake“ von Raymond Chandler begegnete ich Filmwissenschaftlerin zuerst in Form seiner Serie-Noir-Verfilmung aus dem Jahr 1947. Das Werk von Robert Montgomery gilt zumeist als missglücktes Experiment: die Kamera filmt nämlich ausschließlich aus der (räumlichen) Sicht von Privatdetektiv und Ich-Erzähler Philip Marlowe –
was statt des intendierten, besonders ausgeprägt subjektiven Eindrucks einen eher befremdlich distanzierten erzeugt und damit als Nachweis gelten kann, das echte Figurensubjektivität im Film recht wenig mit dem bloßen POV (Point of View) der Kamera zu tun hat.
Das Verrückte für mich aber war nun, dass der seltsam distanzierte Eindruck, das Gefühl, zugleich direkt an Marlowes Ermittlung und seinen Erkenntnissen dran zu sein und dabei doch konsequent auf Abstand gehalten zu werden, sich auch in meinem Leseerlebnis spiegelte. Wobei ich mir nicht sicher bin, ist das wiederum intendiert oder dem Abstand zwischen mir als Frau des 21. Jahrhunderts und Marlowe/Chandler als Männer des 20. Jahrhunderts geschuldet? In den (ursprünglichen) deutschen Übersetzungen sind Hammett, Chandler und Co. für mich ja praktisch unlesbar, weil mir da die Sprache so gekünstelt cool erscheint, dass ich das Ganze nicht mehr ernst nehmen kann (interessanterweise fühlt sich der Slang von Gangsta Rappern für mich heute genauso albern und dazu noch testosterontrunken an, aber das nur am Rande).
Doch bei „The Lady in the Lake“ waren es gerade Sprache und Erzählweise, die mich dranbleiben ließen – trotz einer wochenlangen Pause mitten im Lesen. Die Plots der klassischen Hardboiled-Romane sind ja ohnehin häufig, nun, sagen wir: so verschlungen, dass sie kaum jemand auf den ersten Blick durchschauen dürfte – was teils sogar Programm gewesen sein mag, wollte man sich doch von den als „Rätselkrimi“ belächelten Whodunnits englischer Machart distanzieren -; also kommt es nicht drauf an, warum der eine oder andere Nebenschauplatz sich am Ende nicht mehr einfach ins Bild im Leserinnenkopf einfügt.
Doch bis zu diesem Ende Marlowe auf seinem verschlungenen Weg vom Auftrag in L.A. bis zum Showdown auf dem Damm am See in den Bergen zu verfolgen, das hat wirklich Spaß gemacht. Man sollte die Klassiker des Genres wohl nie ganz abschreiben, sondern immer mal wieder lesen. Aber eben besser im Original …