Fallen für Götter

Die Verstrickung der Krupps ins Nazireich als „Götterdämmerung“ bzw. in Anlehnung an griechische Tragödien auf der großen Leinwand zu erzählen, vornehmlich darum ging’s 1969 in Luchino Viscontis Film „Die Verdammten„. Was einst großes Kino war, hat Hans Peter Litscher für die Bühne übersetzt und adaptiert – und das feierte am Samstag unter dem Titel „Der Fall der Götter“ im Essener Grillo-Theater Premiere. Groß, gar großartig war daran leider wenig.

Sehen so Götter vor dem Fall aus? Philipp Noack, Jan Pröhl, Thomas Büchel, Jens Winterstein, Floriane Kleinpaß, Alexey Ekimov, Ines Krug (Foto: Martin Kaufhold )

Drei Stunden dauert das Werk. Drei Stunden, in denen der aus eigener Gier, aus Verblendung, Perversion und Dünkel geborene Abstieg einer Stahlfabrikantendynastie zu Gehilfen des Naziregimes zu besichtigen ist. Wobei das so absehbar, so uhrwerkartig erzählt wird, dass man das Ende vermutlich selbst dann vorhersehen könnte, hätte man nie Viscontis Film gesehen.

Das müsste dem Drama, der Tragödie nicht zwangsläufig abträglich sein. Wären die Figuren so erzählt, dass man mit ihnen mitfühlte, könnte gerade die Absehbarkeit des Endes dem Ganzen Spannung, ja Fallhöhe verleihen. Doch es gibt kaum Drama, vielmehr werden Szenen präsentiert, zwischen denen ein Erzähler den roten Faden knüpft – oder doch zu knüpfen versucht, soweit Text und Regie (Jan Neumann) das zulassen. Keine Frage, Jens Winterstein als Erzähler macht seinen Job großartig. Fürs Stück jedoch wäre es besser, es bräuchte dieses Hilfsmittel aus der Prosa nicht. Und den unglaublich zerdehnten Schluss, bei dem nach jedem einzelnen Wort sekundenlang bedeutungsleer geschwiegen wird, ist schlicht eine Zumutung für Off-Erzähler und Zuschauer (und nein, ich meine nicht die Art von Zumutung, die zu einer neuen Erkenntnis, einem nie dagewesenen Erlebnis führt, ganz bestimmt nicht). Das hätte es wahrlich nicht gebaucht.

Zugleich ist das symptomatisch für das, was da am Samstagabend im Grillo-Theater zu sehen und zu hören war: eigentlich sind die Zutaten nahezu perfekt. Die Musik von Thomas Osterhoff zum Beispiel, oder das redliche Mühen, all die Fähigkeiten und Talente der Schauspieler. Manchmal entstehen sogar berührende, beklemmende Szenen, wie die der Bücherverbrennung, wo SS-Mann Aschenbach (mal wieder mephistolisch gespielt von Stefan Diekmann) einen Professor (Thomas Büchel) zwingt, eigenhändig die Texte den Flammen zu übergeben, während dessen Blick seinen Schüler, Günther von Essenbeck,  (Philipp Noak) zwingt, zu zitieren, was da verbrannt wird. Da kann einem ganz anders werden, da bin ich plötzlich mittendrin. Wie mich überhaupt die Bühne (Cary Gayler) aus Quadern, Rechtecken, Stelen, mitten hinein holt ins allmähliche, aber zwangsläufige Begreifen: was zu Anfang nach den Säulen der Villa der Familie aussieht, verwandelt sich im Lauf der Drehbühne zum Labyrinth, zum Anklang an größenwahnsinnige Nazi-Architektur und immer wieder zum Stelen-Feld. Diese Verbindung, diese Brücke zum Holocaust-Denkmal überrascht, passt, und zeigt mir zugleich: da hätte viel mehr drin sein müssen.

Doch weder Regie noch Text schaffen ähnlich Verwandlung oder öffnen Denk- und Assoziationsräume. Regieeinfälle verpuffen wie das lächerliche, übergroße „Tischfeuerwerk“ zu Beginn. Dass man so das feurige Innenleben eines Stahlwerks zu zeigen versucht, dass die Menschen in weißen Anzügen nicht etwa Seuchenkontrolleure oder Katastrophenschützer sind, das wird wahrlich nicht auf den ersten Blick klar. Und selbst wenn: was hätte es geändert? Man weiß ja eh, es geht um Stahlbarone.

So viele Möglichkeiten, technische wie künstlerische, und am Ende bleibt das ungute Gefühl, viel zu lange im Dunkel gesessen zu haben. Viel zu lange einen nicht wirklich guten und seiner Art nach schon gar nicht dramatischen Text durchgehalten zu haben. Garniert mit den üblichen und erwartbaren Aufregern – Schauspieler halb oder gar nicht bekleidet (dass „die da oben“ aber auch ständig die Hosen runterlassen müssen, selbst wenn sie nach Königsmänteln oder andern Pelzen greifen), Sex mit Kinderpuppen, SA-Gegröhle, Hakenkreuzfahnen, etc. pp.

Und nun hat mich der ganze Sermon auch noch dazu verführt, einen wahrlich nicht kurzen Text dazu in die Welt zu werfen. Dabei stieß ich bereits beim Verlassen des Saals am Premierenabend auf meine persönliche Kürzestkritik desselben: Der erste Teil hatte Längen, der zweite ist eine. Vorhang. Blackout.

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