Ausgelesen

Während die Zeit nur allzu of rast, haben Bücher zumindest gelegentlich die Tendenz, sich zu stapeln. Das gilt in meinem Fall nicht nur für die noch gänzlich ungelesenen oder bestenfalls angefangenen Werke, sondern auch für so manches ausgelesene Buch. Und bevor ich meine Eindrücke und Gedanken gleich wieder vergesse, nun rasch ein paar Sätze zu Doris Lessings TheStory of General Dann and Mara’s Daughter, Griot and the Snow Dog und Mechtild Borrmanns Die andere Hälfte der Hoffnung.

Mechtild Borrmann spinnt nicht nur eine Krimihandlung um verkaufte Hoffnungen junger Ukrainerinnen, die 2010 vermeintlich als Austauschstudentinnen nach Deutschland kommen und sich unversehens in Bordellen als Zwangsprostituierte wiederfinden, sondern darüber hinaus ein kulturen- wie zeitenübergreifendes Panaroma. Das Reaktorunglück von Tschernobyl gehört ebenso zu den „Wurzeln“ der Geschichten, die Borrmann gekonnt verwebt, wie der zweite Weltkrieg. Und die Parallele zu den Zwangsarbeiterinnen im Krieg verleiht den Zwangsprostituierten aus dem Osten, die sonst vielleicht in Gefahr wären, schon eine Art allgemeiner Topos der Kriminalliteratur zu sein, einen neuen Aspekt.

Das liest sich gut und spannend, nicht zuletzt dank der Figuren, aus deren Blickwinkel all das geschildert wird: der alte Lessmann, der eine junge Frau rettet, die ihren Zuhältern entflieht; die junge Frau, die den Alten erst verstehen lernt; eine alte Ukrainierin, die über Tschernobyl und den zweiten Weltkrieg hinweg die Familiengeschichte für ihre verschwundene/verschleppte Tochter aufzeichnet und Leonid, der ukrainische Ermittler, der Suspendierung und Drohungen zum Trotz den Spuren seines Falls bis nach Deutschland folgt und Borrmanns Fäden am Ende zusammenknüpft.

Orientierung schaffen dabei die ordnenden Kapitelüberschriften mitsamt Ort und Zeitangaben – weshalb mir unverständlich bleibt, warum der Strang in der Entfremdungszone bei Tschernobyl, der Strang im Jetzt, in dem die Alte das Tagebuch schreibt, nun unbedingt im Präsens geschrieben sein muss. Dass es der Enpunkt sein wird, das begreift man auch so. Und künstlerisch, ästhetisch fügt es dem Ganzen nichts hinzu, irritiert jedoch beim Lesen immer wieder.

Nichtsdestotrotz ist Die andere Hälfte der Hoffnung ein ausgesprochen lesenswertes Buch, bei dem schon fast auf der Hand liegt, warum es im letzten Jahr für den Glauser nominiert war, ja dies schon so sein musste 🙂

Unschlüssig lässt mich dagegen die Lektüre von Doris Lessings Zukunftsroman zurück. Gut, es handelt sich dabei um einen zweiten Band, dennoch hätte ich von einer so großen Schriftstellerin erwartet, dass es mich packt. Ja, ich mag ihre Sprache, um so mehr, als dies meine erste Begegnung mit ihr im englischen Original war. Aber, nein, die Art der Erzählung mit den zahlreichen Figuren, die zudem den eignartigen Eindruck erzeugt, man solle als Leser auf Distanz gehalten werden, ist gar nicht mein Ding.

Eigentlich hätte ich erwartet, dass ich mir im Anschluss an die Lektüre den ersten Teil besorgen würde. Wohl eher nicht, denn nun sitze ich da und weiß nicht, was ich von Doris Lessing, die ich einst, als junge Frau, so liebte, als nächstes lesen möchte – oder ob ich das nicht besser gänzlich sein ließe …

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