Wenn eineiige Zwillinge mal nicht (nur) zum Verwechseln ähnlich sind, treten sie in Fiktionen gerne als janusköpfiges Doppel bzw. als guter Zwilling/böser Zwilling auf. So auch in Wiebke Lorenz‚ Roman Allerliebste Schwester, in dem zugleich die eine Schwester nach dem ungeklärten (Frei)Tod der anderen deren Leben mit deren Mann weiterzuleben versucht.
An sich eine interessante Prämisse: Eva, die einst die Wilde war, fühlt sich für den Selbstmord der braven Marlene verantwortlich – nicht nur, weil sie deren letzten Anruf unmittelbar vor deren Tod auf den Bahngleisen wegdrückte, sondern vor allem, weil sie eine Affäre mit deren Mann Tobias hat. Der wiederum hat Eva in ihren Augen einst Marlene gestohlen. Jetzt ist Eva mit Tobias verheiratet und am Versuch, das Kind mit ihm zu kriegen, das ihrer Schwester verwehrt blieb, tragisch gescheitert. Die Totgeburt wirft sie anscheinend vollends aus der Bahn. Je mehr ihr Mann alles zu kontrollieren versucht, je mehr entgleitet sie – nicht zuletzt der Realität.
Ein interessantes, spannendes Rätselspiel, das mich neugierig machte auf die Geschichte der Zwillingsschwestern, gerade weil sie einerseits so verschieden sind und andererseits so gleich handeln in gewissen Dingen. Allerdings beschränkt sich der Roman letztendlich für mich viel zu sehr darauf, Marlenes Geschichte aufzuklären (und dass der Selbstmord ein Gattenmord war, nun, das ahnt man recht früh), während Evas Leben, das Innere wie Äußere, dahinter verblasst. Was auch insofern eigenartig ist, als Marlene als Brave ja nun schon naturgemäß die blassere der beiden war.
Ohne den Epilog sähe die Sache für mich womöglich anders aus. Alles, was bis dahin noch in der Schwebe gehalten wird, wird danach durchdekliniert und eindeutig beantwortet. Kein Rätsel bleibt ungelöst. Außer dem, worin wohl der Ursprung der Kombination aus maximaler äußerlicher Identität bei ebensolch ultimativer Wesensverschiedenheit liegen mag. Und, okay, der für mich ganz generell praktisch nie vernünftig zu beantwortenden Frage, warum man einen Roman im Präsens „erzählt“.
Schade, das hätte ein richtig guter Roman für mein geplantes, drittes Identitäts-Seminar werden können – so waren es zwei Tage einigermaßen spannender Lektüre mit einem schalen Ende.