Kanistergesichter

Wenn Kunst gelingt, hat das immer etwas von einem kleinen Wunder oder wenigstens von Magie; denn etwas wird in etwas ganz anderes verwandelt. Bei Hermann Schmidt-Rahmers Theaterinszenierung von Lars von Triers Drehbuch Manderlay werden aus Plastikkanistern mit Kleiderbügeln Menschen, während aus Helfern mit hohen Idealen und reformatorischen Ehrgeiz am Ende so etwas wie Helfershelfer beim Zementieren des Status Quo geworden sein werden. Zu abstrakt? Da bleibt nur zweierlei: Hier weiterlesen und dann ab ins Grillo-Theater nach Essen in die nächste Vorstellung!

 

Aber mit opulenten Bühnenbildern à la „Vom Winde verweht“ – immerhin ist Manderlay eine Baumwollplantage in den Südstaaten der USA, und noch dazu eine, auf der man offensichtlich seit Jahrzehnten die Abschaffung der Sklaverei ignoriert – sollte man nicht rechnen. Das Spiel beginnt vor dem Eisernen Vorhang – abgesehen von der weißgewandeten Grace Mulligan (facettenreich gespielt von Floriane Kleinpass) tragen alle Schauspieler graue Anzüge. Das passt, denn alle außer Grace spielen gleich eine Vielzahl von Rollen und erzählen so abstrakt wie anschaulich die Geschichte einer scheiternden Rettung wider Willen: Grace besteht darauf, die Sklaven zu befreien und ihnen beizubringen, die Plantage selbständig, als gemeinschaftliche Eigner zu führen. Nichteinmischung ist keine Option, und ob die ehemaligen Sklaven überhaupt frei sein wollen, danach fragt sie nicht. Doch was sie aus Idealismus und moralischer Überlegenheit tut, führt am Ende nur dazu, dass sie sich selbst in die Herrinnenrolle gedrängt sieht.

Sechs Schauspieler – neben Floriane Kleinpass hervorragend Stefan Diekmann und Daniel Christensen, dazu Johann David Talinski, Sven Seeburg und Ingrid Domann – und eine Armee von Puppen, dazu Pappkartons als Hütten- und Häuserersatz (Bühne: Thomas Goerge), Kreide und ein paar Requisiten, das reicht Hermann Schmidt-Rahmer, um ein lebendiges Lehrstück zu erzählen. So abstrakt, spröde, ja, letztlich theatralisch Lars von Triers‘ „Dogville“ und „Manderlay“ auf der Leinwand erscheinen, hier werden sie fass- und fühlbar. Es mag den einen oder anderen Konzentration kosten, den Rollenwechseln wie den Argumenten zu folgen, aber das bleibt nicht folgenlos – man ist involviert. Mag Lars von Triers Manderlay in den 1930ern angesiedelt sein und mögen die Südstaaten fern scheinen, dem Grundproblem entrinnt man nicht: einmischen oder wegsehen, helfen oder rechtfertigen, – ganz gleich, wie man sich entscheidet, man folgt dabei zwangsläufig den eigenen Wertvorstellungen, den eigenen Idealen und hat oft nicht die Zeit zu fragen, was will der andere? Ist richtig für dich, was ich für mich als richtig erkenne? Muss es das überhaupt sein? Aber woran soll ich, kann ich mein Handeln orientieren – Moral, Ethik, gar demokratische Verfahren? Was braucht es, damit Handeln nicht nur gerechtfertigt, sondern richtig ist?

Wie bereits mit der Inszenierung von Elfriede Jelineks Ulrike Maria Stuart und Burgess‘ Clockwork Orange erweckt Schmidt-Rahmer auch diesmal einen gelegentlich sperrigen Text voller widersprüchlicher, nicht zu beantwortender Fragen zu prallem Bühnenleben.  Theater, das zum Denken anregt, mich aber auch fühlen lässt, das ist für mich ein Wunder der Kunst.

Allerdings – ich würde dazu raten, den Saal zu verlassen, wenn Grace nach ihrem Vater rufend den Saal verlässt. Die gefühlt endlose Rede von Ursula von der Leyen zur Verlängerung des UN-Mandats in Mali war ein Monolog zu viel. Statt mit einem Knall lässt sie das Stück verenden, als ließe man einem Luftballon mit einem ewigen Quietschen langsam, ganz langsam die Luft raus …

Schade. Denn der Rest hat es in sich und ist allemal sehens- und wiedersehenswert!

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