Seit ich denken kann, fasziniert mich die Vorstellung, für eine begrenzte Zeit meinen Körper gegen den eines anderen Menschen einzutauschen, gar von Körper zu Körper wechseln: durch die Geschlechter und über Altersgrenzen hinweg, um verschiedene Wahrnehmungsweisen, Fähigkeiten und natürlich auch Einschränkungen kennenzulernen. So könnte ich herausfinden, was individuelle Unterschiede sind und ob die Gemeinsamkeiten zwischen vermeintlich Ähnlichem (wie etwa unter Frauen/Männern, innerhalb einer ethnischen Gruppe o.ä.) tatsächlich groß genug sind, um die entsprechenden ‚Einordnungen‘ zu rechtfertigen. Entsprechend erfreut war ich, als ich von David Levithans Every Day hörte. Jetzt habe ich es gelesen.
Das Buch erzählt die Geschichte von A, einem 16-jährigen Ich, das jeden Tag im Körper eines anderen Menschen erwacht. Die einzigen Konstanten in seinem/ihrem Leben sind die Wechsel und die Tatsache, dass diese anderen räumlich nicht weit voneinander entfernt leben (maximal ein paar Autostunden) und in etwa gleich alt sind. A weiß zwar nicht, warum die Dinge sind, wie sie sind, hat sich aber darin eingerichtet. Das geht so lange gut, bis A sich verliebt …
So ließe sich der Plot auf Klappentextformat zusammenfassen. Levithan erzählt As Geschichte gekonnt und für jugendliche Leser sicher so spannend wie (im besten Sinne) pädagogisch sinnvoll – aber für mich als erwachsene Leserin reicht das bestenfalls bis zu letzten Seite. Danach verpufft die Geschichte nahezu wirkungslos und lässt mich ratlos zurück.
Was eben noch als mögliche Ergänzung für eines meiner Literaturseminare zum Thema Identität roch (A weiß nicht viel über sich selbst, als dass er/sie/es nichts als er/sie/es selbst ist – als sei A kondensierte, womöglich pure ‚Identität‘), wird plötzlich schal. Was vor wenigen Minuten ein interessantes Experiment schien, endet konventionell offen (und heroisch dazu …).
Womöglich bin ich über meine eigenen hohen Erwartungen gestolpert, die nicht zuletzt durch manch euphorische Kritik und entsprechende Ausschnitte aus solchen auf dem Cover des Buches selbst gespeist wurden. So überlas ich völlig, dass dieses Buch an sich ein Jugendbuch ist – denn dass bei weitem nicht jede unglückliche Liebesgeschichte unter Teenagern etwas für Jugendliche allein ist, beweist ja „Romeo und Julia“.
Schade. Aber, nun gut, nicht jeder Mensch, der sich ungewöhnliche Plots ausdenken kann, ist in der Lage, daraus dann Sprachkunst zu schmieden. Insofern könnte man sagen, dass ich auf hohem Niveau enttäuscht bin – und hätte ich dieses Buch mit den Augen eines anderen Menschen gelesen, wäre es ein anderes gewesen. Allerdings, so wäre anzumerken, gilt das für jedes Buch … 😉