Letztes Wochenende sah ich „Arabella“ von Richard Strauss im Aalto-Theater in Essen. Bevor der letzte Eindruck dieses alles in allem sehr schönen Abends mit einer Freundin zwischen meinen verschiedenen Arbeitsbaustellen zermahlmt wird, will ich notieren, was noch greifbar ist.
Das Libretto stammt von Hugo von Hoffmansthal, enthält aber keine Automaten, musikalisch oder anderweitig, sondern eine Schwester, die keine sein darf: Zdenka (Julia Grüter) lebt als Junge, weil die Familie sich die standesgemäße Aussteuer nun mal nicht leisten kann. Und Arabella (Jessica Muirhead) ist nun mal schon als schöne Erstgeborene für die Frauenrolle in der Familie prädestiniert. Das birgt reichlich Verwechslungspotenzial, aber macht es das Ganze zu einer lyrischen Komödie, wie es im Spielplan heißt?
Okay, die Übertitelung sein zu lassen, hilft nicht, um das Lyrische daran erkennen zu können. Merke: Nur weil auf dem Blatt die Lieder deutsche Texte haben, heißt noch lange nicht, dass man diese versteht. Manchmal passiert das, aber das ist eher Zufall. Und schade in einer Oper, in der an ausgewählten Stellen tatsächlich gesprochen wird – was dem jeweiligen Text besondere Bedeutung verleiht und darauf zu deuten scheint, auch das gesungene Wort hätte durchgehend verstanden werden sollen.
Satire würde ich das Ganze eher nennen. Hier wird die Gesellschaft sozusagen unters Mikroskop gepackt und was da zum Vorschein kommt, ist alles andere als edel, auch, wenn es Grafen etc. sein mögen. Im zweiten Akt beim Ball musste ich an den Simplicissimus denken, wie er im frühen 20. Jahrhundert aussah: böse Karrikatur vermeintlich mächtiger Männer vor allem. Und an Alice im Wunderland und die Teegesellschaft.
Allerdings gibt es hier keinen verrückten Hutmacher, sondern eine sehr angetrunkene Gastgeberin, die der Torte entsteigt. Dass man ihr bei jedem Jodelansatz den Sektkübel zum nun, Küblen, hinhält hat was: Jodeln als das, was aus Gesang wird, wenn man eigentlich zu betrunken dafür ist. Das ist mal eine alternative musikalische Erklärung.
Apropos Musik. Im Gegensatz zu Mozarts „Don Giovanni„, bei dem Musik und Gesang eine beinahe zwingende Einheit bilden, ist Strauss‘ „Arabella“ in meinen Ohren eines der vielen Opernwerke, wo sich nur gelegentlich der Zusammenhang zwischen Instrumenten und Stimme(n) sofort erschließt. Ich wüsste wirklich gerne, woran das liegt: ist mein Gehörgang verbogen? Oder meine musikalische Ausbildung zu dürftig?
Spannend bleibt so ein Abend ja so oder so. Ich schaue und höre und versuche zu verstehen. Und wenn die beiden Schwestern miteinander singen, dann ist das sehr berührend und schön in dieser Oper, genau wie manch Liebespart.
Doch was hängen bleibt von dieser Oper ist die Frage, was ist komisch daran, wenn ein Mädchen einen Jungen spielen muss, obwohl sie es nicht will und schon gar nicht fühlt – und wenn sie dann das erste Mal mit dem Mann, der eigentlich ihre Schwester liebt, als eben diese schläft, nur, damit der sich nicht aus Liebeskummer umbringt? Dass Zdenka unentwegt von allen übersehen wird, sie sozusagen der wandelnde blinde Fleck nicht nur, aber vor allem ihrer Familie ist, ist doch, im Gegenteil, todtraurig.