Zwei Reisetage per Bahn, drei Tage vor Ort, um hinterher mit unzähligen neuen Eindrücken nach Hause zu kommen, das wäre die kürzeste Beschreibung unserer Pragreise. Doch das sagt so gar nichts über den Zauber der Stadt und ihrer Menschen und erst recht nichts über das Gefühl, dort zu sein.

Wir hatten uns bewusst entschieden, die Bahn zu nehmen. Gut acht Stunden Fahrtzeit plus für die DB sportliche 20 Minuten Umstiegszeit in Berlin mag viel klingen im Vergleich zu einer Flugzeit von 75 Minuten, aber jeder Minute, die ich nicht in einem Flughafen verbringen muss, ist für mich ein Gewinn. Obendrein schont es das Klima und letztlich waren unsere Bahntickets für die erste Klasse günstiger zu haben als die reinen Flüge in der Economy Class, zu denen noch Flughafentransfers hinzugekommen wären.
Morgens um kurz nach 8 Uhr ging es mit der U-Bahn los, um 8:48 Uhr sollte der ICE nach Berlin fahren. Wir waren pünktlich da, allein der ICE kam nicht, sondern sammelte Minute um Minute Verspätung, angeblich wegen eines vorausfahrenden Zuges. Als wir endlich mit einer halben Stunde Verspätung den Essener Hauptbahnhof verließen, war mein Lieblingsmensch fertig mit den Nerven und der DB, denn wie sollten wir so unseren Anschluss erreichen? Zwei Stunden in Berlin auf den nächsten Zug warten zu müssen, war keine schöne Aussicht. Aber könnte man der App vertrauen, laut der unser ICE die Verspätung wieder reinholen sollte? Abwarten und sich zwischendrin einen Kaffee an den Platz bringen lassen, meinte ich, und als wir tatsächlich merklich aufholten, konnte auch mein Lebensmensch die komfortable Reise in der ersten Klasse genießen. In Spandau stiegen wir in den nagelneuen EC nach Prag und fuhren erst die Elbe entlang durch die sächsische Schweiz und schließlich weiter an der Moldau bis zum Prager Hauptbahnhof. Auf den letzten Metern holten wir uns hier noch ein paar Minuten Verspätung, aber was macht das schon im Urlaub?
Das erste, was man nach Verlassen des Prager Hauptbahnhofs Richtung Stadt sieht, ist ein kleiner, langgezogener Park – eine schöne Abwechslung zu den Betonplätzen oder Verkehrsknotenpunkten, an denen man in Deutschland häufig bei Reisen per Bahn ‚ausgespuckt‘ wird. Uns gab das Zeit, auf dem Weg zur Tramstation anzukommen und uns zu orientieren. Da ging es direkt weiter, denn der ÖPNV in der tschechischen Hauptstadt ist einfach großartig. In der Innenstadt bzw. genauer im Bereich zwischen Bahnhof, Neustadt, Altstadt und Burg, wo wir uns hauptsächlich bewegten, fahren zahlreiche Tramlinien im 5-Minuten-Takt und das Netz der Haltestellen ist so dicht, dass man die meisten Zielen gleich mit einer Handvoll Trams erreichen kann – das Metronetz, das es ja auch noch gibt, nicht eingerechnet.
Das Mosaic House Design Hotel etwa, in dem wir die nächsten Tage verbringen würden, liegt zwischen drei Tramstationen, von denen man praktisch in jede Richtung fahren kann, und zugleich so nah der Moldau, dass man auch an dieser entlang z.B. in die Altstadt laufen kann. Einerseits befindet sich das in den 1930ern als Gewerkschaftshaus erbaute Gebäude mitten in der Neustadt zwischen Buchläden, Cafés, Restaurants, und Bars – andererseits steht es auf einem kleinen Hügel an einer Nebenstraße, grenzt hinten an die Fachhochschule für Elektrotechnik und bietet so den perfekten Mix aus ganz nah dran am Leben, gutem Nachtschlaf und Rückzugsmöglichkeiten am Tag.

In gewisser Hinsicht ist das Mosaic House typisch für die Stadt: es hat historische Wurzeln, die man beim Umbau zum Hotel erhielt – etwa das großzügige Treppenhaus oder den Bühnenraum, der Teil des Cafés bzw. der Bibliothek wurde und natürlich die namensgebenden Mosaike im Erdgeschoss -, und ist zugleich jung und voller moderner Kunst (leider versäumte ich, die witzigen zehnbeinigen Wesen zu fotografieren, die dort an den unterschiedlichsten Orten bei verschiedenen Aktionen gezeigt werden). Und so freundlich, wie das Personal hier war, waren fast alle Menschen in der Stadt. Was für eine Mischung – Geschichte und Lebendigkeit gepaart mit Freundlichkeit und Kreativität, kein Wunder, dass sich im Lauf der Jahrhunderte immer wieder Künstler in die Stadt verliebten!

Bei unserer Ankunft am frühen Abend richteten wir uns kurz in unserem Zimmer ein, das in einem Seitenflügel mit nur zwei weiteren lag und auf den Hof eines Gebäudes der TU hinausging, bevor wir uns auf die Suche nach einem Restaurant fürs Abendessen machten. Die Auswahl an internationaler wie tschechischer Küche ist in der Neustadt genau wie in der Altstadt riesig und man merkt, dass die Stadt auch ein Partyhotspot ist. Wir entschieden uns für U Matěje Kotrby Bar & Restaurant und bekamen im idyllischen kleinen Hinterhofgarten der Bar einen guten Platz und noch besseres Essen: kräftiges Gulasch mit Knödeln und Semmelknödel mit einer köstlichen Pilzsauce, dazu Bier bzw. eine selbstgemachte Limonade.
Gestärkt brachen wir danach auf zu einem kleinen Abendspaziergang durch die kopfsteingepflasterten Gassen der Neustadt und dann hinunter an die Moldau. Wir liefen über die Brücke hinüber auf die kleine Flussinsel Slovanský Ostrov mit ihren alten Bäumen, dem Palais Žofín, der Galerie Mánes und vielen, vorwiegend jungen Menschen, die auf den Bänken, an den Ufern mit einem Bier oder einem anderen Getränk entsprechende Verbotsschilder gelassen ignorierend in den Abend starten. Auf dem Wasser waren Tretboote in allerlei Formen unterwegs – schwimmende Oldtimer, ein Piratenboot, kastenförmige Standard-Treter, dazwischen Riesenschwäne – darüber wurde das Blau des Himmels tiefer, die Farbe des Wassers dunkler, während die Abenddämmerung allem eine friedliche Atmosphäre verlieh. Sonderbar, dachte ich, während wir durch das Gewirr junger Stimmen in Englisch, Tschechisch und weiterer Sprachen liefen, wir sind das erste Mal hier, und doch fühlt es sich an, als gehörten wir gerade jetzt genau hierher.

Gemächlich machten wir uns durch zurück auf den Weg zu unserem Hotel, wo wir mit einem Bier im Café den Tag ausklingen ließen.