Ob es ums Schreiben hier im Blog geht oder ums Lesen gewisser Bücher, manche Dinge brauchen einfach Zeit. Dabei ist keines der drei Bücher, die ich kürzlich auslas, ein dicker Schmöker, ganz im Gegenteil: ob Ken Mogi, Akutagawa Ryunosuke oder Patti Smith, sie alle bleiben unter 200 Seiten und bieten doch jeder auf seine Art reichlich Gedankenfutter.

Dass ich mir „The Little Book of Ikigai“ von Ken Mogi besorgte, ist schon eine ganze Weile her. Ich war einer Rezension der deutschen Übersetzung begegnet und überlegte, ob das Buch, in dem es um Ikigai als japanische Form der Lebenskunst geht, etwas für meine Mutter sein könnte. Sie findet Lebensratgeber gelegentlich hilfreich, kann aber mit diversen Aspekten japanischer Literatur und Kultur, oft wenig anfangen, sodass es sinnvoll schien, es erst einmal selbst zu lesen. Mein Fazit: Wer sich für japanische Lebensphilosophie interessiert, findet hier einen guten, leicht lesbaren Einstieg. Damit es aber etwas wird mit dem „glücklichen und langen Leben nach japanischer Art“, das der Untertitel verspricht, muss man bereit sein, selbst tätig zu werden.
Ob Akutagawa Ryunosuke Ikigai kannte, gar praktizierte, weiß ich nicht. Falls ja, hat es ihn wohl nicht glücklich gemacht, sonst hätte er sich kaum 1927 im Alter von 35 Jahren das Leben genommen. Diesen Schatten des Todes meint man zu spüren, wenn man „Dialoge in der Dunkelheit“ liest, den schmalen Band, in dem späte Prosa und Erzählungen von ihm versammelt sind. Manches darin mutet an wie kurze Reportagen, gelegentlich ist unklar, wie weit etwas gar autobiografisch ist (was auch an der starken Verbreitung autofiktionalen Schreibens heutzutage liegen mag), anderes ist für mich so etwas wie die Essenz moderner japanischer Literatur (etwa „Im Asakusa-Park“). Traumwandlerisch und doch klarsichtig, dabei von einer unendlichen Trauer, gelegentlich auch einer seltsamen Resignation berührt, so fühlen sich viele der Stücke an, und jedes einzelne ist es wert, mehrfach gelesen zu werden.
Ob ich ohne Patti Smith überhaupt je dazu gekommen wäre, Akutagawa Rynosuke zu lesen, weiß ich nicht. Deshalb ist es ein schöner Zufall, dass ich ihr Buch „Devotion„, erschienen 2018 in der Reihe „Why I Write“ der Yale University Press als drittes beendete. Dass diese Reihe den Wunsch auslöst, noch viele weitere Autoren durch sie näher kennenzulernen, ist dabei typisch fürs Lesen von Smith‘ Texten: Ich begegne dabei stets so vielen anderen Autoren und Büchern, dass ich anschließend eigentlich erstmal einen neuen Bücherschrank brauche …
Jedenfalls schätze ich bei Smith ihre besondere Art des assoziativen Schreibens, der sie im ersten Teil des Büchleins „How the Mind Works“ auf brillante Weise nachgeht, indem sie Gedanken und Gefühle auf einer Reise nach Paris zu ihren dortigen Verlegern schreibt. „Devotion“, der zweite Text, ist dagegen eine Erzählung, die zugleich surreal wie hyperreal (also ein wenig so, wie ein sehr intensiver Traum am Rande des Klartraums) die Geschichte einer jungen Frau, in deren Leben Hingabe die Hauptrolle spielt, auf wenigen Seiten so detailreich und tief ausbreitet, dass man meinen könnte, einen Roam en miniature gelesen zu haben. Da scheint es nur konsequent, dass der nächste Text „A Dream Is Not a Dream“ überschrieben ist. Wir sind darin zurück in Paris mit Patti Smith, die einer Einladung von Alberg Camus‘ Tochter folgt. „Why is one compelled to write?“ lautet hier die Eingangsfrage auf S. 87, nur um sogleich eine (erste) Antwort zu erfahren: „To set oneself apart, cocooned, rapt in solitude, despite the wants of others. […] seeking an emptiness to imbue with words.“ Was für eine schöne Vorstellung (die nebenbei eine perfekte Erklärung meiner Angewohnheit wäre, eigene Texte, das, was ich ‚mein eigenes Schreiben‘ nenne im Gegensatz zum Tagegeschäft, vorugsweise im Bett zu praktizieren) – und ein Gedanke, den das Ende des Textes wieder aufnimmt: „What is the dream? To write something fine, that would be better than I am, and that would justify my trials and indiscritions. To offer proof, though a scramble of words, that God exists.“ (S. 93)
So weit würde ich persönlich für mein Schreiben zwar nicht gehen, Worte für Erfahrungen zu finden, Erleben sagbar zu machen, und so zu kommunizieren, Brücken zu bauen, die man lesend, schreibend, denkend betreten kann, auf dem Weg zueinander, reichte mir völlig. Und die Brücken, die vor allem Patti Smith‘ Buch aber auch Akutagawa Ryunosukes Dialoge bieten, führen ziemlich tief hinein ins fremde Territorium, dorthin, wo wir uns als Menschen näher kommen können, selbst, wenn wir gerade ganz allein sind mit einem Buch oder unseren Schreibwerkzeugen.