Dass ich Martina Hefters „Hey, guten Morgen, wie geht es dir?“ lesen will, weiß ich, seit ich letzten Herbst einen Auszug daraus im Börsenvereinbüchlein mit den Nominierten für den Deutschen Buchpreis las, den sie kurz darauf bekam. Am Samstag war ihre Lesung die Eröffnungsveranstaltung im neuen Proust hier in Essen und ich war dabei.
Ausverkauft war die Veranstaltung schon eine ganze Weile, und so hatten meine Begleiterin und ich instinktiv angenommen, sie werde im LeseRaum zwei Häuser weiter stattfinden. Doch wo es ja um die Feier der Wiedereröffnung der Buchhandlung Proust unter neuer Leitung ging, machte es mehr Sinn, dass wir alle gemütlich in der Buchhandlung zwischen den vertrauten, hellen Holzregalen und der Theke zusammenrückten. Das Publikum lesungstypisch – überwiegend weiblich, überwiegend älter, durchaus möglich, dass Mitgastgeberin Johanna Leibecke und die aus Augsburg angereiste Moderatorin Tina Lurz die jüngsten im Raum waren.
Nach einer kurzen Begrüßung durch Marion Leibecke, die andere der beiden neuen Proust-Inhaberinnen, ging es los und die kleine Lesungsbühne wurde zum Sprungbrett in die Welt von Hefters Roman und darüberhinaus. Welt in die Literatur zu holen, das sei unter anderem ihr Anspruch, sich abzuschotten in lyrischer Naturbetrachtung oder dergleichen, sei ihre Sache nicht, betonte Hefter – was in meinen Augen nicht nur bei einer Schriftstellerin, die dazu noch Performerin ist und vom Tanz kommt, die also dabei mit ihrem Körper in der Welt agiert, um ihre Kunst zu produzieren, Sinn macht. Zumal, so wurde im Gespräch klar, die Geschichte um Juno Isabella Flock im Ursprung näher an Hefters eigenem Leben und fast wie eine Reportage über Love Scamming begann, bloß dass sich im Verlauf der Arbeit daran zeigte, das ist nicht die richtige Form für die Geschichte.
Martina Hefters Schreiben scheint ein Suchen nach der richtigen Form, tastend, den Raum für Sprache und Figuren öffnend, das immer auch die Möglichkeit beinhaltet, auf ganz unerwarteten, ungeplanten Wegen zu gehen. Gefällt mir, Menschen, die ihre Romanfiguren als reines Mittel zum Zweck betrachten, statt ihnen zu gestatten, lebendig zu werden und sich zu entfalten, sind mir suspekt (und ihre Bücher eher steif und vorhersehbar).
Interessant fand ich auch zu erfahren, wie sie mit den Chatverläufen im Buch umgeht. Obwohl diese in der Realität auf Englisch geführt werden (schließlich geben die Scammer bevorzugt vor, amerikanische Zahnärzte, Ex-Militärs o.ä. zu sein), entschied sich Hefter im Buch dafür, sie auf Deutsch zu schreiben – allerdings mit Englisch im Ohr und dem Bewusstsein, dass sie also gewissermaßen Übersetzungen als Orginale schrieb. Obendrein versuchte sie, nah an der Versform zu arbeiten, also möglichst für jeden Sinnzusammenhang eine Zeile ohne Umbruch zu haben, was, wie sie sagte, die Setzerin nicht glücklich machte.
Aber wenn eine Künstlerin die Herausforderung liebt, bleibt so etwas wohl nicht aus. Ob in den drei Leseparts – was für ein Genuss, Martina Hefter zuzuhören! – oder den Gesprächen mit Tina Lurz, die diese rahmten, es war ein sehr anregender, gelungener Abend. Und wäre die Schlange an der Kasse nicht so lang gewesen, hätte ich mir allen Stapeln mit ungelesenen Büchern zuhause zum Trotz „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“ auf der Stelle gekauft.
Vielleicht scheute ich davor auch noch aus einem anderen Grund zurück. Da war etwas anders an diesem Abend, etwas eigenartig Fremdvertrautes, das ich zunächst nicht richtig greifen konnte, was mich ganz kribbelig machte. Es war wie immer, die einladende Einrichtung der Buchhandlung mit dem hellen Holz, der „Steckwand“, der Theke, selbst die Stühle schienen dieselben. Und doch war alles ganz anders. Das hier war nicht mehr Proust Wörter + Töne von Beate und Peter, das hier war jetzt Proust Wörter + Schönes von Marion und Johanna Leibecke. Hier vollzog sich gerade spürbar ein Neuanfang, ein Umbruch womöglich, etwas, das sich fast anfühlte wie ein Intendantenwechsel im Theater. Und bei diesen fremdel ich am Anfang bei aller Neugier auch stets ein wenig … allerdings bin ich beim „neuen Proust“ guter Dinge, dass sich das bald legen wird! 😉