Dazwischen

Gestern Abend beendete ich Eva FigesThe Seven Ages“ und war ganz atemlos, wie gebannt und nur widerwillig bereit, es zuzuklappen und aus den Händen zu legen, nachdem ich es über Monate häppchenweise ausschließlich abends im Bett allein gelesen hatte.

Die amerikanische Ausgabe von Eva Figes' "The Seven Ages", auf deren Cover eine Herbstzeitlose als botanische Zeichnung abgebildet ist.

Es ist ein schmales Buch, das 1986 bereits erschien. Es überspannt Jahrhunderte, vielleicht Jahrtausende und erzählt Geschiche als die der Frauen. 186 eng bedruckte Seiten sind es in der amerikanische Ausgabe, das klingt nicht viel, und doch kann man sich darin verlieren – so viele Personen, so viele Leben, so viel/e Geschichte/n! – aber am Ende kommt alles geradzu perfekt zusammen in einem Moment, der über sich hinaus in die Zukunft weist.

Zwei Hauptstränge sind darin verwoben: Da ist einmal die Ich-Erzählerin, eine Hebamme, die in ihrem Ruhestand aufs Land zieht, in einen kleinen Ort vermutlich irgendwo im Süden Englands, aus dem ihre Familie ursprünglich stammt. Sie richtet sich ein in ihrem neuen Leben, macht sich Gedanken über ihre beiden Töchter und die Enkelinnen, und immer wieder erinnert sie sich zurück an ihr eigenes Leben und die Geschichten, die ihr etwa ihre Großmutter, die früher genau in diesem Dorf lebte, erzählte. Soweit, so literaturtypisch, könnte man meinen.

Aber dann ist da diese zweite Ebene, in der es viel weiter zurückgeht, anfangs sogar in prähistorische Zeiten und in denen es sich um Heilerinnen dreht und deren Geschichten zwischen der einfachen Landbevölkerung und kriegführenden Herren, sowie deren Damen, die dann das Zepter führten und alles zusammenhielten Kerlen, dreht. Diese Geschichten begegnen der Ich-Erzählerin wie Traumgesichte, wie Erscheinungen – wobei Eva Figes sich treu bleibt und nichts erklärt, keine wie auch immer gearteten, gar pseudorealistischen Brücken baut. Die Leserin selbst darf diese erfinden, wenn sie denn welche braucht.

Für mich reicht ihre Sprache, das Poetische darin, die Bildhaftigkeit. Allein bei den Beschreibungen von Landschaften, Wetterereignissen, Jahreszeitenwechseln reichen für mich wenige Sätze, und ich gehe lesend vollkommen darin auf, bin dort, eingetaucht wie in eine andere Welt geraten, die mich in ihren Bann schlägt. Es ist nicht schlimm, wenn ich zwischendrin wegen langer Lesepausen und dank mangelhaftem Namensgedächtnis nicht mehr genau weiß, wer genau wer ist und verwandt mit wem. Darauf kommt es nicht an.

Es ist der Strom selbst, dieser Fluss der Geschichten, der Geschichte wird, um den es geht. Und wie geschickt, geradezu mit Zauberhand, Eva Figes darin die Motive von Heilerin und Hexe, Herrin und doch nur untergeordnetes Wesen im Patriarchat, Macht und Ohnmacht, verwebt, und wie elegant, leichtfüßig und doch zwingend sich am Ende die beiden Ebenen verbinden. Wie das Ringen um Frauengesundheit und Geburtenkontrolle, also der Kampf der Frauen um das Recht, über den eigenen Körper zu entscheiden, mit dem um politische Teilhabe einhergeht, um am Ende in einem zukunfstweisenden Moment des Protestes zusammenzukommen, an dem es um das Leben aller und alles Leben geht.

1986 wurde das Buch geschrieben bzw. veröffentlicht, noch vor dem Ende des Kalten Krieges. Jetzt mit Putins Krieg in der Ukraine auf der einen Seite und den Protesten der Frauen im Iran scheint es mir seltsam aktuell, vielleicht aktueller denn je.

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