Meine Angewohnheit, stets mehrere Bücher parallel zu lesen (und das auch noch neben der ZEIT, die wahrlich reichlich Lesezeit beansprucht), führt immer wieder zu Stapeln – oft auch solchen, die dann viel zu lang darauf warten, dass ich endlich die Zeit finde, über sie zu schreiben. Mal schauen, wie weit ich mit den vieren komme, die auf dem aktuellen Wartestapel liegen …

Chimamanda Ngozi Adichies „We should all be feminists“ ist ein schmales Bändchen von gerade mal 32 Seiten, die man schnell lesen kann und die doch nachhallen. Immerhin las ich es, als es noch richtig warm draußen war, ich glaube, es war August, um die Monatsmitte wohl, und ich saß auf dem Gelände einer ehemaligen Tankstelle und späteren Autowerkstatt nicht weit von meiner Wohnung entfernt auf einer Bank und wartete. Denn derzeit liegt das Hauptgeschäft dort in Coronatests (naheliegend, denn die hiesige Uniklinik ist nur eine Straßenkreuzung entfernt), und auf das Ergebnis von meinem wartete ich dort.
Das passte, denn so konnte ich immer wieder den Blick von den Seiten des kleinen Büchleins heben und die Menschen um mich herum beobachten und mit dem vergleichen, was Adichie über das Verhältnis von Männer und Frauen, wie sie einander sehen und miteinander umgehen, schreibt. Natürlich ist Essen nicht Nigeria, weder das heutige noch das vor 10 Jahren, als Adichies Text als Essay bzw. als TED Talk entstand, obwohl ich annehme, dass ich weder hier noch dort in den letzten zehn Jahren allzuviel Bahnbrechendes in Sachen Geschlechtergerechtigkeit getan hat. Emanzipation ist definitiv Langstrecke, kein Wunder, wo die verschiedensten Seiten immer wieder aus den unterschiedlichsten Gründen behaupten, Feminsmus, das sei doch gar nicht (mehr) nötig.
Dass das anders ist und ganz sicher nicht nur in Afrika, dafür muss man sich nur an einer ehemalige Tankstelle sitzend umsehen. Sicher hörte ich dort niemand zu einer Frau sagen, sie solle sich bloß nicht als Feministin bezeichnen, weil sie dann niemand mehr heiraten würde, und dann wäre ihre Leben vorbei, sinnloserweise, wo sie doch hübsch ist – aber ich fürchte, das heißt nicht, dass man solche Pseudoargumente nur in Nigeria zu hören bekommt. Nein, ganz sicher nicht. Sei nicht so laut, sei nicht so fordernd, sei nicht so unverschämt – dieses Mantra kennen verdammt viele Frauen, das bekommen bis heute überall auf der Welt kleine und große Mädchen womöglich täglich aufs Butterbrot geschmiert oder ins Müsli gerührt oder sonstwie ungefragt serviert.
Und dann sitzt man äh frau – also ich – an dieser ehemaligen Tankstelle herum, liest Chimamandass dünnes und doch lebenspralles und vor allem kluges Buch voller Beobachtungen aus dem Leben und Überlegungen, wie man dieses für alle besser machen könnte, wenn wir denn alle Feministinnen wären und unsere Töchter und Söhne zu solchen erzögen, und könnte die ganze Zeit nur nicken. Weil die Kerle auch hier so breitbeinig stehen, gehen, sitzen, so lauthals in ihre Handys quatschen, ganz selbstverständlich jeden Raum einnehmen – nur um dann völlig perplex zu schauen, wenn der Ruf nach Dr. Bach erschallt und eine unscheinbare, mittelalte Frau aufschaut, ihr Büchlein zuklappend „das bin ich“ ruft, aufsteht und sich fröhlich ihr Testergebnis abholt.
Ich meine mich zu erinnern, dass ich mir gerade noch so verkneifen konnte, dem kurz mal verstummten Handytypen im Abgang die Zunge rauszustrecken. Gereizt hätte es mich, aber ich wollte rasch nach Hause, unbedingt die letzten Seiten von Adichies Text lesen.