Zugegeben, es ist vielleicht nicht das Naheliegendste, erstmal eine Woche zu warten, bevor ich über die Eindrücke meines Besuchs einer Vorstellung von Verdis Un Ballo in Maschera (Ein Maskenball) im Essener Aalto-Theater schreibe. Aber so ist es nun mal, und wenngleich in der Zeit Details verblasst sein dürften (gerade bei einem musikalisch eher ungebildeten Menschen wie mir), so ist anderes mit Abstand womöglich um so besser zu erkennen. Wie etwa die Sache mit dem auktorialen Erzähler in der Oper.
Das ist jedenfalls die beste, passendste Bezeichnung, die ich für die Art der Übertitelung gefunden habe, wie sie in der Inszenierung von Dietrich Hilstorf zum Einsatz kommt: statt die Übersetzung jeder gesungenen Textzeile, womöglich auch noch im X-ten Encore quasi simultan zum Gesang zu präsentieren, ging es im Stile von „Der 15. März im Jahre 1587 begann wie jeder Morgen am Hofe von …“ los. Mal wurden so Szenen angekündigt, mal zusammengefasst, immer wieder auch kommentiert und am Schluss, schon im Applaus, wenn der tödlich verwundete Riccardo (Carlos Cardoso) minutenlang singend stirbt und doch nicht sterben will, verbündet sich der auktoriale Erzähler geradezu augenzwinkernd mit dem Publikum, und auch mit zwei der Attentäter, die aus dem Saal heraus das Ganze mit gezielten Pistolenschüssen endgültig beenden.
So kannte ich das noch gar nicht, und so war ich ein zweites Mal verblüfft, als meine opernerfahrene Begleitung mir versichterte, diese Art der Übertitelung sei früher gar nicht mal unüblich gewesen. Allerdings fand man es früher (wann auch immer genau dieses Früher war, vergaß ich leider zu fragen) anscheinend auch normal, Opern in Übersetzung zu singen – als ob es einen relevanten Unterschied macht, welche Sprache man so nicht verstehen kann …
Aber vielleicht ist das auch gar nicht nötig? Die Handlungen von Opern sind ja in den allermeisten Fällen nur begrenzt logisch – also nicht mit den Plots von Dramen, Romanen oder Filmen zu vergleichen. So auch im „Maskenball“: König Riccardo erwacht morgens mit seinem Pagen Oscar (Cathrin Lange), der offenbar sein Liebhaber ist. Zugleich wird aber in der Aufstehzeremonie mit Hofstaat klar, Riccardo liebt Amelia (Valentina Boi) und deshalb interessiert ihn außer der Gästeliste des Maskenballs, auf der ihr Name steht, auch nichts sonst, was seine Höflinge und Minister zu sagen haben. Und seinem ersten Minister und Freund Renato (Janis Apeinis), der ihn eindringlich vor einem Anschlag auf sein Leben warnt, kann er noch nicht mal zuhören, denn dummerweise ist Amelia dessen Gattin … als sei das alles nicht verwickelt genug, schleppt ein Höfling die Landstreicherin Ulrica (Helena Zubanovic) an. Aber statt sie gleich abzuurteilen, zwingt Riccardo sie, zu seiner und des Hofes Belustigung als Hexe und Wahrsagerin aufzutreten. Dummerweise rächt sie sich mit der Prophezeiung seines Todes. Zu dem es am Ende kommt, weil er von Amelia die Finger nicht lassen kann und so den loyalen Freund Renato zum Rächer werden lässt.
Auch, wenn diese Oper auf einem wahren Mord, nämlich dem am Schwedenkönig Gustav III. beruht, geht es hier nicht um die Darstellung politischer Verflechtungen und des tödlichen Aufbegehrens gegen einen absoluten Herrscher, sondern um Emotionen und die Tragik, die ihnen innewohnt. So jedenfalls klingt für mich Verdis Musik, in der alles enthalten scheint – Liebe, Verzweiflung, Sehnsucht, Einsamkeit und viel innere Zerrissenheit.
Wie ernst Hilstorfs Inszenierung, die bildgewaltig und zugleich konzentriert daherkommt, all das nimmt, bleibt für mich unklar. Genau wie ich mir nach wie vor nicht sicher bin, was ich von der „auktorial erzählenden Übertitelung“ halte. Einerseits eröffnet sie als Kommunikation zwischen Erzählinstanz und Publikum über die Köpfe der Figuren hinweg ganz neue Möglichkeiten (und wenn man in der vierten Reihe sitzt, ist die Nackenmuskulatur dankbar, dass man nur gelegentlich so steil nach oben schauen muss, um mitlesen zu können). Andererseits enthalten die Zusammenfassungen oft schon deutliche Interpretationen, lenken also stark den Blickwinkel, unter dem man die dazugehörige Szene miterlebt. Gerade, wenn man die Oper nicht schon zum X-ten Mal sieht und/oder nicht vorab den Opernführer auswendig gelernt hat, fühlt sich das manchmal bevormundend an.
Wie gut, dass die Musik ohnehin für sich stehen kann.
Oh, und was die Sache mit der Zeit angeht, mit der Lücke zwischen Opernbesuch und dem Versuch, darüber zu schreiben: die könnte man glatt als Parallele zur Zeitspanne zwischen der ursprünglichen Premiere der Inszenierung im Jahr 1999 und ihrer Wiederaufnahme im Jahr 2022 ansehen. Was übrigens auch der Grund ist, warum ich meinen Überlegungen hier kein Foto an die Seite stellen kann – aus den Pressemedien des Aalto-Theaters ist der „Maskenball“ leider längst verschwunden.