Ein hoher Raum, Tische und Stühle, darüber der markante Kronleuchter, hohe Fenster zum Vorplatz, verborgen hinter langen Vorhängen. Davor die kleine Bühne mit zwei Sesseln und einem Tisch. Das war der Rahmen für „dort“, eine Lesung zu Tod, Trauer und Verlust, die ich vorgestern im Café Central besuchte. Platz genug für Sven Seeburg und Silvia Weiskopf, und erst recht, um aus literarischen Texten Kopfkino werden zu lassen.
Und weil es mich jedes Mal ärgert, dass es zu Theateraufführungen zwar Programmhefte, aber keine Setlisten zu Lesungsprogrammen wie dem von Carolin von Ohle gibt, war ich diesmal schlauer und hatte einen Notizblock eingesteckt –
… um sogleich beim ersten Gedicht zu versagen. Dass die Ballade über die Toten, die den Lebenden verzeihen, ihnen das aber nicht mehr sagen können, von Theodor Storm war, steht ganz oben auf dem Zettel, allein, ich war so gefangen von Silvie Weiskopfs Vortrag, dass ich den Titel verpasste.
Den nächsten Text, den Sven Seeburg vortrug, muss ich mir unbedingt besorgen. Michael Endes Erzählung „Ophelias Schattentheater“ von der Kleinstadtsouffleuse, die herrenlose Schatten bei sich aufnimmt, kannte ich noch nicht – und er ist so anrührend schön, dass ich ihn dringend nachlesen möchte.
David Grossmans titelgebendes „dort“ dagegen funktionierte rein gar nicht für mich. Der Dialog zwischen zwei verwaisten Eltern war in meinen Ohren derart verrätselt, überkomponiert, verkünstelt, dass ich gar nicht weiß, wie soll ich das sagen? Und in der Lesung selbst rang ich mit mir und der Frage, ob das Licht im Zuschauerraum wohl reichen würde, mein mitgebrachtes Buch einstweilen heimlich weiterzulesen. An den beiden auf der Bühne lag es nicht, die mühten sich redlich, das steht mal fest.
Carolin von Ohles „Brause“ dagegen nimmt das Publikum mit – auf eine innere und äußere Reise, einen ersten Annäherungsversuch an einen geliebten Toten, Schritt für zaghaften Schritt. Und in „Die Geschichte von Herrn Sommer“ von Patrick Süßkind zieht ein eigenartiger, geradezu anmutiger Selbstmord, der zunächst gar nicht als solcher zu erkennen ist, Ich-Erzähler wie Zuhörende in seinen Bann.
Viriginia Woolfs „Ein Geisterhaus“ hörte ich vorgestern das erste Mal auf Deutsch und es klang so fremd-vertraut, ich hätte am liebsten umgehend das englischsprachige Original gleich nach der Heimkehr wiedergelesen.
Die Erinnerung an den Schlusstext, an Fred Ammons „Freude schenken“, fühlt sich wie ein Lächeln an. Und das ist doch ein wunderbares Ende für einen Abend mit einem schwierigen Thema, dem aber letztlich niemand entgeht: der Endlichkeit des Lebens.
Ob es dann für uns alle Applaus geben wird, so wie vorgestern für den Lesungsabend im Café Central? Schön wär’s. Dann wüsste man, wo immer man dann ist, allein ist man dort nicht.