Endlich wieder Theater, endlich Premiere: Coronabedingt anderthalb Jahre später als geplant kam gestern Bertolt Brechts „Die Rundköpfe und die Spitzköpfe oder Reich und reich gesellt sich gern“ im Grillo-Theater heraus und wurde vom Publikum gefeiert. Einen passenderen Zeitpunkt aber hätte man für Hermann Schmidt-Rahmers Inszenierung der so bösen wie unterhaltsamen Essener Fassung des ‚Greuelmärchens‘ kaum finden können.
Die armen Pächter beginnen, sich unter dem Zeichen der Sichel gegen die reichen Verpächter zu organisieren. Um dem Einhalt zu gebieten, holen sich die Reichen Blondo (Stefan Diekmann), eine Art bösen Politclown. Der lenkt die Unzufriedenheit der Armen ab, indem er den Gegensatz zwischen Tschuchen und Tschichen, Rund- und Spitzköpfen aufmacht. Plötzlich dreht sich alles um Fragen von Zugehörigkeit und Identität, Zuschreibung und Rassismus – und für den armen Pächter Callas, ein „guter Rundkopf“ (Jan Pröhl) schlägt die Stunde des Opportunisten: denn sein Verpächter Emanuele de Guzman (Alexey Ekimov), der ihm partout keinen Pachterlass gewähren will, ist ein „böser Spitzkopf“ und war überdies der erste Liebhaber von Callas‘ Tochter Nanna (Silvia Weiskopf), die sich nun prostituiert. Zunächst sieht es auch so aus, als könne Callas‘ daraus seinen Vorteil ziehen, aber wie das so ist bei Brecht bzw. bei Auseinandersetzungen zwischen Arm und Reich, gibt es kein Happy End für die Habenichtse. Nanna, die die Zuschauer durchs Stück führt, hat es von Anfang an geahnt: „Ich bin skeptisch“ kontert und kommentiert sie immer wieder die Euphorie ihres Vaters …
Was bei Brecht als Parabel einerseits auf den Aufstieg der Nazis gemünztes, andererseits jedoch als überzeitliches Lehrstück angelegt ist, reichert Regisseur Schmidt-Rahmer mit jeder Menge aktuellen Bezügen und Zitaten an. So geht es um Narrative, die nicht mehr verfangen, um Leistungsträger, darum, dass die Armen bitte schön ihren Unternehmergeist entdecken und sich mit Investitionen (also noch mehr Schulden) selbst aus dem Sumpf ziehen sollen, und um Rassismus und Ausgrenzung und darum, wie man damit teilt und herrscht, indem man mit populistischen Parolen von den eigentlichen Problemen ablenkt.
Die Akteure stecken dabei allesamt in Ganzkörpermasken, die sie halb wie Cardassianer aus Star Trek, halb wie Wesen aus grauweißem Stein aussehen lassen. Darüber tragen sie nach Art von Kleiderpuppen zum Ausschneiden nur vorn symbolhafte Bekleidung (Kostüme: Pia Maria Mackert), die Rollenwechsel im Handumdrehen zulassen: glänzende Rüschen und Spitzen mit Rokokoanmutung die Reichen, Kartoffelsäcke die Bauern/Pächter, Frau Cornamontis (Fine Sendel) ein Babydoll, die Anwälte (Sven Seeburg) und der Richter (Thomas Büchel) ihre Roben, die Gefangenwärter (Sabine Osthoff) Uniformmützen, Nanna ein Korsett mit Schößchen – und Blondo schlicht eine Hundekrawatte à la Gauland.
So vieles könnte man noch erwähnen. Den wiederholten Streit „Lehrstück? Nein: Dokumentartheater“ etwa oder die herrlich schrägen, manchmal auch schmerzhaften Versionen von Eislers Musik, die Situationskomik und die zugrundliegende Tragik, die bemerkenswerten Leistungen der Schauspieler oder auch das gigantische Gemälde lauter Nackter mit Schmetterlingen und Insekten als Hintergrund für den Kerker am Schluss (Bühne: Daniel Angermayr) etwa. Und wenn ich auch manches nicht wirklich verstanden habe – warum manche und nur manche Figuren ausgeprägte Dialekte sprechen, was es mit dem cardassianerhaften Äußeren auf sich hat oder was der Steg soll, der weit ins Publikum ragt, aber nur selten bespielt wird – sehens- und hörenswert ist das Ganze allemal und unterhaltsam, intelligent und zum Weiterdenken anregend obendrein. Und so detailreich wie ein Wimmelbild, was dazu verlockt, sich diese Inszenierung am besten gleich mehr als einmal anzuschauen.