Acht Tänze, drei Filme, vor rund drei Wochen in Holland – genauer: in Het Klooster Theater in Woerden – gesehen. Talent On The Move haben die Verantwortlichen von Codarts Rotterdam das Ganze genannt, und das passt. Denn das war keine ’normale‘ Tournee einer Kompagnie, das war ein Überblick über die Talente, die gerade an dieser renommierten Hochschule ihren Abschluss machen. Kurz vor dem Absprung, eben on the move.
Es beginnt mit The Land of Yes And The Land of No von Rafael Bonachela. Neun weißgekleidete Tänzer (besonders beeindruckend: Sophia Dinkel) im schwarzen Bühnenraum, abstrakt und präzise und doch berührend. Für mich besonders spannend: gewisse Arm- und Handbewegungen, die an Gebärdensprache erinnern. Minimale Impulse, die viel bewegen, bewusst beschränkte Formen, die in all ihren Variationen und Zusammenstellungen zu überraschen verstehen.
Paperthin hat Lóránd Zachár seine Choreografie für fünf Tänzer (drei Männer, zwei Frauen) genannt, die auf ungewohnt eckigen Bewegungen und papierdünnen Requisiten beruht. Das lässt die Tänzer marionettengleich erscheinen und erinnert an mechanische Figuren und Automaten, wie sie im 18. und 19. Jahrhundert beliebt waren. Im ersten Teil ist das teils hochkomisch. Im zweiten, wenn sich alles nur noch auf ein Paar – Sofie Konings und Richard Nagy – konzentriert, wird es plötzlich intensiv, ja geradezu tragisch: was ist Kampf, was ist Liebe? Kaum zu glauben, was sich alles in gerade mal 10 Minuten Tanz ausdrücken, ja erzählen lässt.
Es folgt der erste Film, in dem ein Absolvent von seiner Zeit an Codarts berichtet – glücklicherweise spricht man dort Englisch, auf Nederlands hätte ich weder diesem noch den beiden anderen Filmen folgen können.
One and All – fünf junge Männer in Bewegung gebracht von Choreograf Lukas Timulak. Beinahe klassisch, sehr symmetrisch, schön anzusehen, auch, wenn davon nicht allzu viel in meinem Gedächtnis haften geblieben ist.
Danach ein weiterer Absolventenfilm und schließlich ein Wiedersehen mit Jírí Kylián. Im ersten Moment scheint es unglaublich, dass alle Tänzer samt ihren Hockern – das ist das Requisit bei A Way A Lone, und wie immer versteht Kylián es, dies perfekt einzubinden in die Choreografie – auf die kleine Bühne hier passen. Doch die Enge macht das Trio im Vordergrund – Carmelangela Damico, Borna Babic und Louis Thuriot – um so präsenter. Und J.S. Bachs Goldberg Variation No. 15 öffnet Herz und Geist.
Nach der Pause der letzte der drei Filme (die, auch wenn ich hier nichts darüber berichte, hochspannend waren, gaben sie doch intime Einblicke in die Beweggründe dreier junger Tänzer), gefolgt von Andonis Foniadakis‚ Facade, eine Choreografie zu Philip Glass‚ Cello Octet. Hier wird es bunt, es wirbelt, alles windet und verwandelt sich – ganz so, als würden die Karten stets neu gemischt. Für mich ein wildes Gegenstück zum aparten The Land of Yes And The Land of No.
Es passt, dass danach mit Louis Thuriots Solo Balance etwas Zirkushaftes auf die Bühne tritt. Ein tanzender Clown erweckt den Derwisch in sich, gemeinsam testen sie Saturday Night Fever und verwandte Posen. Komisch und nachdenklich.
Bei Mauro Bigonzettis Cantata, einer Art volkstümlichem Liebes/alb/traum zu dritt, wurde es mir streckenweise zu pathetisch, was jedoch der hervorragenden Leistung der Tänzer Giorgia Belotti, Nils Röhmer und David van der Veen keinen Abbruch tat.
Last but not least Different Fragments, wie Club Guy & Roni ihre Arbeit tauften. Als ob die Grauen aus den Kampfszenen der Matrix-Trilogie einen Rave besuchen.
Insgesamt also ein sehr abwechslungsreicher Abend, der den Untertitel der Tour „De Topdansers van morgen“ zu einem sehr passenden macht. Und ich finde, Talent On The Move 2018 dürfte ruhig ein grenzüberschreitendes Projekt werden … 😉