Lohnenswerte Anstrengung

So sehr ich Elfriede Jelinek samt Wut, Beobachtungsgabe und Sprachgewalt schätze, so sehr bevorzuge ich es doch, ihre Texte auf der Bühne „serviert“ zu bekommen statt sie selbst zu lesen. Denn, bei aller Liebe, allein mit ihr auf Papier, da drohe ich mich in den Wortfluten und Satzschwärmen zu verlieren. Aber selbst, wenn sich ein Regisseur – oder ein Regieteam wie Bernd Freytag und Mark Polscher – die Mühe macht, die Textflächen auf Figuren zu verteilen, einfach wird die Sache deshalb auch nicht unbedingt. Gestern sah ich endlich ihre Inszenierung von Wolken.Heim in der Essener Casa und mein Fazit lautet: anstrengend, aber lohnenswert.

Silvia Weiskopf, Jan Pröhl und Sven Seeburg sowie Mitglieder des Chores in der Inszenierung

Silvia Weiskopf, Jan Pröhl und Sven Seeburg sowie Mitglieder des Chores in der Inszenierung „Wolken.Heim.“ von Elfriede Jelinek; Regie: Bernd Freytag und Mark Polscher (Foto: C. Kaufhold)

Als Chorwerk angelegt und einstudiert, bricht sich das dumpfe Wir-Gefühl in Heimatseligkeit Bahn, wird zur Abgenzungsideologie schlechthin, mutiert zu Rassismus, Faschismus und was immer es an üblen -ismen in der Richtung gibt. Fichte spricht, Pegida lässt grüßen, und wohin das Sinnen und Trachten all der trachtenselig gewandeten Figuren gehen mag, mag man sich gar nicht ausmalen. So ungefähr jedenfalls.

Schwer zusammenzufassen. Schwer auf den Punkt zu bringen, was da zwischen den Schauspielern Stefan Diekmann, Jan Pröhl, Sven Seeburg und Silivia Weiskopf einerseits und dem durchweg hervorragenden Chor andererseits passiert.

Auffällig für mich jedoch war der Unterschied den es macht, mit so einem abstrakten Stück konfrontiert zu sein, in dem es nicht mal eine fragmentarische Handlung gibt. Schnell wird klar, da der Inhalt keine dramatische Richtung einschlägt, es nicht den Hauch eines Plots gibt und ich nichts von Fichte und Co. verstehe, die hier zu Textmaterialien werden, bleibt nur die Form an sich, um das Ganze zusammen zu halten, dem Ganzen Spannung zu verleihen. Der große Bogen erschließt sich, keine Frage. Der Rhythmus der Sprache treibt alles voran. Aber wenn Spannung sich so sehr, so rein auf die Form stützt, muss man gewissermaßen jedem Sprachfetzen folgen, immer aufmerksam sein, um den Faden nicht zu verlieren. Bei einer Geschichte reichen Versatzstücke – man kennt ja Schillers Maria Stuart, man weiß von der RAF, also hat Jelineks Ulrike Maria Stuart nicht nur Plotstücke, sondern auch einen äußeren Handlungsrahmen, an dem ich mich als Zuschauer ausrichten kann. In Wolken.Heim. dagegen ist nichts – sozusagen nichts als Sprachwolken und strenge Formen – und dem auch nur zu folgen zu versuchen, ist richtig anstrengend.

Aber es lohnt sich, denn im Endeffekt gehört die Anstrengung hier eben zum Kunstgenuss. Als ob man das Gehirn wie einen Muskel trainiert und hinterher erschöpft aber glücklich feststellt, so kann es auch gehen. Und endlich hat mal jemand Worte dafür gefunden, warum ich mit dem Heimat-Begriff in jedem überindividuellen Sinne solche verdammten Probleme habe …

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