Viele Autoren könnten ein Lied vom Gesetz der Serie singen – wenn nämlich die eigene Schöpfung sich derart verselbständigt, dass Leser und Verlagsmenschen unisono „mehr davon!“ rufen, während ihr Schöpfer längst genug hat. Und wo sich die zarte Künstlerseele eingesperrt fühlt, liegt die Sehnsucht nach einem Ausbruch nahe. Dass das nicht immer gut geht, ja geradezu fatale Folgen haben kann, davon erzählt Stephen Kings Misery – und ganz gleich, ob man auf Horror steht, die Inszenierung in der Essener Box sollte man sich unbedingt anschauen.
Es ist dabei nicht von Belang, ob man ein Fan von Stephen King ist (ich bin’s nicht) oder ob man die Verfilmung mit Kathy Bates und James Caan aus dem Jahr 1990 kennt (ich tat’s, meine Begleitung nicht – begeistert waren wir beide). Es kommt eigentlich nur darauf an, das Glück zu haben, Karten zu ergattern …
Wenn das gelungen ist, warten eine Reihe Überraschungen auf den Theaterzuschauer. Das Stück beginnt diesmal nicht auf der Bühne, sondern bereits im Foyer, wo Erfolgsautor Paul Sheldon (Sven Seeburg) ans Rednerpult steht, um sich bei seinen Fans zu bedanken: ohne sie wäre seine Serie Misery nie so weit gekommen. Er spricht’s, dankt, hebt sein Glas – und macht sich auf den Weg.
Wir Zuschauer folgen ihm nur wenig später und entdecken erstaunt: So groß kann die Box, die doch kleinste, engste Bühne (Heiko Mönnich) des Grillo-Theaters ist also sein …! Gleich mehrere Zimmer des heruntergekommenen Farmhauses von Annie Wilkes (Ines Krug) finden hier (zumindest andeutungsweise, aber ausgesprochen glaubwürdig) Platz. Hierher verschlägt ein Unfall im Schnee und das (Un)Glück der Rettung durch die examinierte Krankenschwester den Autoren. Und hier entfaltet sich ein Kammerspiel zwischen zwei ebenbürtigen Gegnern, das man ganz großes Kino nennen könnte, würde das nicht vor dem Verfilmungshintergrund so abgedroschen klingen.
Überdies geht das, was mich Thomas Goritzkis Inszenierung in Essen sehen und fühlen lässt, weit über die Spannung der Verfilmung hinaus. Wo diese gut gemachter Psychothriller gepaart mit Horrorelementen ist, rückt zwischen Ines Krug und Sven Seeburg die Beziehung zwischen den beiden Akteuren in den Vordergrund. Und die hat es in sich – die fatale Abhängigkeit, in die Paul Sheldon hier gerät, erinnert immer wieder an die zwischen Missbrauchsopfern und Tätern: Wie ein Kind seine Eltern (oder wie immer man diese Art Erzeuger und/oder Versorger nennen möchte) fürs nackte Überleben braucht, so ist auch dieser Schwerverletzte komplett isoliert vom Rest der Menschheit angewiesen auf seine Retterin/Gefangenwärerterin. Und dieses wie jenes Opfer sieht sich wieder und wieder gezwungen, sich selbst zu beschuldigen, sich selbst zu erniedrigen, um den Täter, der doch zugleich die Lebensversicherung ist, zu besänftigen, gewogen zu machen, die nächste Stunde, den nächsten Tag zu überstehen.
Eine merkwürdige Parallele, die mir zuvor so nie auffiel – die das Stück aber bei aller bösen Komik, die es durchaus auch bietet, enthält. Ob das für Zuschauer ohne entsprechende (eigene) Vorerfahrung ersichtlich wird, kann ich natürlich nicht sagen. Aber auch ohne das ist es gewiss ein abgründiger und alles andere als oberflächlicher Abend voller Spannung und vor allem mit zwei Schauspielern, deren Präsenz den kleinen Raum schier zu sprengen droht und doch das Gefängnis, in dem sie (gemeinsam mit den Zuschauern) stecken, erst erschafft.
Dass dieser Abend mit Pause (!) 2 Stunden 15 dauert, fällt dagegen nur dem auf, der hinterher auf die Uhr schaut – eine letzte Überraschung dieses gelungenen Stücks. Bleibt das Hauptproblem: eine der knapp 70 Karten pro Vorstellung zu ergattern. Viel Glück dabei!