Vom Ringen um Liebe

Zuneigung als Geschenk und Fluch, Liebe als Wahn und Erfüllung, dazwischen der Mensch mit seinen eigenartigen Vorstellungen von Geschlecht, Moral und Macht – aus diesen ‚Zutaten‘ lassen sich sowohl mörderische Dramen als auch Komödien machen. Dass William Shakespeares Wie es Euch gefällt beides zugleich sein kann, zeigte sich gestern trotz einiger Längen höchst gelungen in der Premiere der Inszenierung von Martin Schulze am Essener Grillo-Theater.

Sein Ansatz scheint in der konsequenten Reduktion zu liegen: Der Hof ist nichts als ein spiegelndes Viereck auf dem Boden der ansonsten leeren Bühne. Die Menschen bewegen sich abgezirkelt, artifiziell, wie Puppen in einem mechanischen Apparat. Berührung sind nicht vorgesehen und wenn, dann noch am ehesten als Ausdruck der Macht zu deuten. Und doch ist dies der Ort, an dem sich die Liebe als Naturgewalt Rosalinds (Silvia Weiskopf) und Orlandos (Daniel Breitfelder) bemächtigt.

Aus Hof wird Wald und Schäferwelt, indem es tonnenweise Altkleider vom Bühnenhimmel regnet. Nach einigem Staubhusten hat man so ein ausgesprochen wandelbares Bühnenbild (Daniel Roskamp), in dem sich die Kostüme (Ulrike Obermüller) für die Rollentauschenden – aus Rosalind wird in der Verbannung der Jüngling Ganymed, aus ihrer Kusine Celia (Laura Kiehne) dessen Schwester Aliena – wie auch diverse Requisiten und nicht zuletzt die Mitspieler verstecken und im passenden Moment wieder hervorholen lassen. Ob lustiges Waldleben der Verbannten rund um Herzog senior (gut gelaunt wie King Julian: Jens Ochlast) und seinen melancholischen Widerpart Jaques (Tom Gerber), Schäferliebeschaosreigen mit Silvius (Tobias Roth), Phoebe (Bettina Schmidt), Audrey (Floriane Kleinpaß) und dem wunderbaren Hofnarren Touchstone (Stefan Diekmann), der ihr so sehr wie seinem eigenen Schwanz nachrennt – neben Shakespeares Texten werden sie bestimmt vom Rhythmus von Dirk Raulfs Musik (er selbst gibt einen prächtigen Rattenfänger ab …).

Getragen wird die Inszenierung jedoch vor allen anderen von Silvia Weiskopf, die als Frau, die sich als Mann ausgibt, der vorgibt, eine Frau zu spielen, beide Geschlechter zugleich souverän seziert wie perfekt in sich vereint.

Und noch etwas hat mich ganz besonders an diesem Abend beeindruckt: dass Martin Schulz der Versuchung widersteht, das dreifache Liebeshappyend wie Zuckerguss über den Abend zu kleistern, nur damit die Zuschauer mit einem angenehmen Gefühl nach Hause gehen. Zum einen mag man sich fragen, wie glücklich werden die Paare Orlando/Rosalinde, Oliver (Jörg Malchow)/Celia und Touchstone/Audrey denn sein, wenn sie noch im Schluss im Wald die Hofetikette mit aller Strenge wieder einholt. Und zum anderen bleiben ja Phoebe, die Ganymed liebt und Silvus verachtet, und eben Silvus allein zu zweit und ganz und gar nicht glücklich zurück.

Fast drei Stunden dauert der Abend, und jeder, der diesen fürs FC Bayern München Triple-Spiel sausen ließ, ist selber schuld. Es sei denn, er holt’s nach und geht in eine der nächsten Vorstellungen. Es lohnt sich.

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