Manchmal ist es wie verhext – bzw. manchmal verhexe ich mich selbst, so könnte man es wohl sagen: Da war Siri Hustvedts What I Loved eines der Lesehighlights meines Spätsommers, aber erst mitten in den ersten Herbststümen schaffe ich es, darüber auch im Blog zu schreiben. Vorher war wohl meine eigene Anspruchsmauer mal wieder viel zu hoch … kein Wunder, so durchdacht, wie Hustvedt diverse Erzählstränge in der barocken Fülle ihres Romans zu führen versteht, und so perfekt wie sie in diesem Text Bildende Kunst samt Kunstbetrieb und Literatur miteinander verwebt!
Ein Kunsthistoriker/kritiker (Leo Hertzberg) kauft ein rätselhaftes Bild von einem Künstler (Bill Wechseler), daraus entsteht eine Freundschaft, eine lebenslange Verbindung zwischen zwei Familien auch. Das ist die eine Seite des Plots, und darin geht es um Liebe in all ihren Ausformungen – romantische Liebe und die zwischen Freunden, die Liebe der Eltern zu ihren Kindern und umgekehrt, Liebe zur Kunst, zum Leben. Aber Liebe ist nicht alles, dreht es sich doch auch immer wieder bzw. ausdauernd um Verluste – Trennungen, Tod, gar den Tod eines Kindes und, nicht zuletzt, sondern schleichend unter allem, wenn man so will, den Verlust des Vertrauens.
Ein faszinierender Roman, voluminös, komplex, bis zum Rand voller Bilder, seien sie reale oder nur für den Text mit Worten erschaffene, seien es Sprachbilder, Metaphern, und dazu immer wieder die Frage: was ist Kunst, was Leben, was Wahrheit, was Lüge? Und kann die Kunst das Leben irgendwie festhalten, konservieren, gar?
There was nothing innovative about glueing foreign materials to a painting, but the effect was very different from Rauschenberg’s dense layerings, for example, because the debris in Bill’s canvases had been left alive by one man, and as I moved from one painting to another, I enjoyed reading the scraps. I especially liked the letter written in crayon: „Dear Uncle Sy, Thank you for the relly neet racing car. It’s relly neet. Love, Larry.“ I studied the invitation that read, „Please come and celebrate Regina and Sy’s Fifteenth Wedding Anniversary. Yes, it’s really been that long!“ There was a hospital bill for David Wechsler, a playbill from Hello Dolly!, and a torn, wrinkled piece of paper with the name Anita Himmelblatz written on it, followed by a telephone number. Despite theses momentary insights into a life, the canvases and their materials had an abstract quality to them, an ultimate blankness that conveyed the strangeness of mortality itself, a sense that even if every scrap of a life were saved, thrown into a giant mound and then carefully sifted to extract all possible meaning, it would not add up to a life. (p.45f)
Ein eigenartiger Gedanke – dass sich in den Bedeutungen der Dinge eines Menschen dessen Leben verbergen könnte. Und doch, jeder, der schon einmal die Sachen eines Verstorbenen durchgehen musste, kennt das Gefühl: als ob mit dem Tod ihres Besitzers ihr Sinnzusammenhang verloren gegangen ist, werden die Dinge zu zufälligen Überresten. Dennoch suchen wir alle nach Sinn, viele in der Kunst oder auch in der Literatur, im Kunstschaffen wie im Kunstgenuss – Menschen sind schon seltsame Lebewesen!
Wesen auch, deren Sehsinn besonders stark ausgeprägt ist; eben Wesen, für die Sehen, das richtige Sehen wenigstens, mit Erkenntnis, mit Verstehen oftmals gleichgesetzt wird. Hustvedts Ich-Erzähler Leo hat natürlich als Kunstkritiker einen ganz besonderen Bezug zum Sehen:
The difficulty of seeing clearly haunted me long before my eyes went bad, in life as well as in art. It’s a problem of the viewer’s perspective — as Matt pointed out that night in his room when he noted that when we look at people and things, we’re missing from our own picture. (p. 253)
Dass wir selbst stets abwesend sind, wenn wir doch gerade versuchen, uns ein Bild von unserem Leben zu machen, ist ein höchst faszinierender Gedanke für mich. Vor allem, weil ich mich sowohl als Erzählforscherin wie auch beim Schreiben und beim Malen immer wieder sehr intensiv mit Perspektivfragen beschäftigt habe und dies auch weiterhin tue. Perspektive, Blickwinkel wäre demnach nichts als eine Leerstelle – in der Kunst geschaffen vom Künstler für den Betrachter, im Leben jedoch, was bedeutet das im Leben? Sind Spiegelbilder deshalb oft so seltsam fremd, weil wir uns eigentlich sonst ja nie selbst sehen? Ist es nicht seltsam, dass wir Rückseiten haben, die uns selbst verborgen bleiben? Oder ist das vielmehr sehr erhellend: dass wir uns selbst ohne Hilfsmittel eben nicht ins Gesicht blicken können? Wie ein blinder Fleck, wie diese Augenerkrankung, bei der der Punkt des schärfsten Sehens verloren geht – oder vielleicht sogar wie Gesichtsblindheit, die neurologische Erkrankung?
Hustvedt zu lesen ist ein bisschen, wie den Versuch zu machen, sich mit diesen unsichtbaren Seiten des Menschseins und des Selbst zu befreunden – und genau das liebe ich an ihrem Werk. 🙂