Ich geb’s ja zu: Besonders hoch waren meine Erwartungen an die gestrige Premiere von Henrik Ibsens Peer Gynt am Schauspiel Essen wahrlich nicht. Der Stoff gehört zu den verworrensten Geschichten, die ich kenne; Edward Griegs Musik ist dagegen melancholischer Pathos pur – ich konnte noch nie so recht verstehen, was Ibsen mir mit seiner Bearbeitung norwegischer Feenmärchen eigentlich sagen wollte. All das hat jedoch Regisseur Roger Vontobel glücklicherweise nicht tangiert. Chapeau, das muss gleich zu Anfang gesagt werden.
Okay, am Anfang hatte ich das Gefühl, Inszenierung und Schauspieler müssten sich noch ein wenig warm laufen, vielleicht auch erstmal ein jeder für sich einen Dreh finden, die weitgehend monologischen Ausführungen in den Griff zu kriegen (Sprachnotiz am Rande: kann Sprache nur packen, wenn der Sprecher sie im Griff hat?). Und was all die Gassen – zehn an der Zahl, wenn ich mich nicht verzählt habe – auf der ansonsten bis auf den versenkbaren Holzstapel meist nur mit Farbeimern und anderen mobilen Gegenständen ‚möblierten‘ Bühne – sollten, hat sich mir auch nicht erschlossen. Womöglich agierten hier Regie und (Nicht)Bühne (Claudia Rohner) aneinander vorbei? Ebenfalls schwer zu sagen, was die Kostümbildnerin (Nadine Grellinger) davon gehalten haben mag, dass nicht etwa Umzüge Menschen zu Trollen oder Tieren werden lassen, sondern sich die Schauspieler mithilfe des Inhalts der Farbeimer verwandeln – der Inszenierung tat das jedenfalls in meinen Augen keinen Abbruch.
Und die lebt mehr von den Aktionen der Schauspieler – allen voran Florian Lange als beeindruckender Peer Gynt – als vom teils doch recht schwer verdaulichen, ibsen’schen Text. Allein all die Wandlungen im zweiten Akt, wenn die Trolle mal Schiff, mal Wüstenlandschaft sind, von Peer bedrohenden Löwen zum ihn rettenden Baum werden, Affen spielen und zu den Anhängern des Propheten Gynt werden, ist das der pure poetisch-artistische Aberwitz. Ob Solo oder Chor (u.a. Matthias Eberle, Christoph Finger und Jonas Gruber), ob die Grüne (Therese Dörr) singend Saiten zupft oder alle auf Farbeimer einschlagen, da ist Musik und jede Menge Rhythmus drin. Und das anzuschauen, dem zuzuhören macht einfach Spaß.
Da ist es nur noch halb so wichtig, dass ich immer noch nicht weiß, was lügt der Peer uns allen vor und sich selbst in die Tasche, was passiert wirklich, woher kommt’s (allein von Mama Aase, teils etwas zu bieder, in der Sterbeszene jedoch grandios von Judith van der Werff gespielt, wär ein bisschen arg küchenpsychologisch platt gedacht), und was machen all die Teufel, pardon: der Knopfgießer am Ende? Vielleicht wär’s falsch, all das verstehen zu wollen. Vielleicht ist Peer Gynt, der sein Ich stets so betont, um dessen Ich, dessen Selbst-Erhöhung sich alles dreht, der einzige, der’s deuten könnte?
Bislang verkroch sich jegliche Bedeutung dieses Textes für mich hinter Hausbau-Luftschloss-Metaphern, dumpf-testosteron-märchenhaften Enden (bei Ibsen rettet Solveigh, die wenigstens ein Jahrzehnt auf den Egomanen Peer wartete, ihn am Ende … wer’s glaubt, wird sicher nur an Dummheit selig, so schien’s mir immer) und eben der Frage, was kann, was soll ich diesem Kerl glauben, der mit Taugenichts noch viel zu freundlich beschrieben ist?
Roger Vontobel setzt, so scheint es mir, auf den Grundgegensatz zwischen Mensch und Troll, den der Trollkönig (unter allen Farbschichten sehr sehenswert: Werner Strenger) Peer beizubringen suchte und den der wohl nur allzugut lernte: "Sei du selbst", das sagen die Menschen. "Sei dir selbst genug", rufen die Trolle.
So ist es nur konsequent, dass am Ende keine Erlösung auf Peer Gynt wartet, sondern er ganz allein und als "Niemand" stirbt. Und ich könnte glatt auf die Idee kommen, mir das Ganze bei Gelegenheit ein zweites Mal anzuschauen.
Ich und sonst niemand
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