Einmal gelesen: A Book of Days

Es gibt Bücher, bei denen man beim ersten Lesen schon weiß, man wird sie ein zweites Mal lesen, um noch tiefer in sie einzutauchen. Und es gibt „A Book of Days“ von Patti Smith (2022 bei Bloomsbury erschienen), das man im Bewusstsein liest, dass das erste Mal hier nichts als die Vorbereitung auf ein sehr viel längeres Lesen, ja womöglich so etwas wie ein Leben mit diesem Buch sein wird. Doch der Reihe nach …

Patti Smith "A book Of Days", auf dessen Cover die Künstlerin mit einer Polraidkamera in der Hand zu sehen ist. Sie schlägt die freie Hand vor den Mund, als sei sie erstaunt oder als habe sie sich selbst dabei ertappt, wie sie sich selbst fotografiert.
Eine Künstlerin, die schreibend und fotografierend über andere Künstler und das Leben reflektiert: Patti Smith „A Book of Days“

Seit März 2018 hat Patti Smith, die täglich schreibt und fotografiert, einen Instagram Account, eingerichtet von ihrer Tochter Jesse, um ihr die Möglichkeit zu geben, inmitten aller möglicher Fake-Accounts mit ihrem echten dagegen zu halten: thisispattismith ist sein Name. Dort postet sie seitdem jeden Tag etwas, heißt es im Vorwort, hörte und las ich auch schon andernorts und bedauerte es durchaus, mir kein eigenes Bild davon machen zu können, da ich mit meiner Entscheidung, keine proprietären, algorithmisch gesteuerten „Sozialen Medien“ zu nutzen. Um so glücklicher war ich, als „A Book of Days“ erschien, sozusagen ein Jahr mit Patti Smith in Buchform.

Ein Vorwort, das die Entstehung des Accounts und des Buches erklärt, 366 Fotos und ebensoviele kurze Texte und am Ende Fotonachweise für zusätzliches Material und eine Liste mit Vorschlägen zum Weiterlesen. Klingt simpel, aber das Ergebnis ist umwerfend. Nicht nur, weil hier eine unglaublich vielseitige und vielseitig interessierte Künstlerin Einblick gibt in ihr Leben, indem sie uns teilhaben lässt an dem, was für sie wichtig ist und sie bewegt: das beginnt bei Orten, allerlei Gegenständen und Haustieren, geht über Freunde und Familie, bis hin zu wichtigen (globalen und/oder historischen Ereignissen) und beinhaltet jede Menge künstlerische und menschliche Vorbilder sowie Kunstwerke und Bücher. Indem sie ihren ganz persönlichen Erfahrungsschatz teilt, schenkt sie den Leser:innen ein Füllhorn an Anregungen.

Ein Porträtfoto aus dem frühen 20. Jahrhundert zeigt Isabelle Eberhardt, eine junge Frau in einem Matrosenanzug, die mit ernstem Blick in die Kamera schaut.
Eine der 381 Seiten im „Book of Days“ – das Foto eines alten Fotos und zugleich ein Portal, hinter dem sich Neues entdecken lässt.

Jedes Foto, jeder Eintrag hat dabei das Potential, eine Tür ins Unbekannte zu öffnen oder das Tor zu Fastvergessenem aufzustoßen. Etwa zu Isabelle Eberhardt, die Wüstenforscherin, die ihn Männerkleidern reiste und mich als Kind davon träumen ließ, eines Tages Marokko ebenfalls in solchen zu bereisen und dann im dunkel blauen Burnus die Wüste zu durchqueren. Ich zweifle, ob es dazu noch kommen wird, jedoch, Eberhardts Schriften könnte ich mir ja zumindest mal besorgen …

Das ist auch eine bei Patti Smith erwartbare Lesenebenwirkung: Bei niemand sonst entdecke ich lesend jedes Mal so viele neue Bücher, die ich lesen, Schriftsteller:innen, die ich kennenlernen und andere, spannende Menschen aus Kunst, Wissenschaft & Co., über die ich mehr erfahren möchte. Sehr schön, dass „A Book of Days“ gleich eine eigene Leseliste mitbringt.

Aber da geht noch mehr. Jetzt habe ich es gerade einmal mehr oder weniger im Ganzen gelesen, innerhalb von wenigen Tagen verschlungen. Nun möchte ich herausfinden, was passiert, wenn man sich, im Gegenteil, die Zeit nimmt, und es sozusagen Tag für Tag als Begleiter nimmt. Auf zum zweiten Lesen also!

Der 16. Januar in Patti Smith' Buch zeigt ein Farbfoto vom runden Schreibtisch von Borges. Darunter ist zu lesen "The desk of the great writer Jorge Luis Borges lives in the National Library in Buenos Aires. It was designed to encompass him, perhaps to assist in reining in his infinitely expansive universe.
Passender Zufall: ausgerechnet heute ein Schriftstellerschreibtisch als Fotomotiv & Schreibanlass zu finden

Tja, und schon stehe ich vor der Frage, wann las ich eigentlich zuletzt etwas von Jorge Luis Borges … entschuldigt also, ich muss mich auf die Suche machen! 😉

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