Ich gebe zu, ich bin ein bisschen verstimmt. Gestern Abend beendete ich „Just Kids“ von Patti Smith, und nun fühle ich mich wie am Tag danach – nach dem Fest, nach einer Entdeckungsreise, nach einer besonderen Begegnung: nämlich ein Stück weit verlassen und verloren.
Und wie nach einer Begegnung, einer Reise oder einem Fest bin ich unschlüssig, zerrissen: darüber schreiben, reden, sich freistrampeln und im Alltagsstrom Richtung Zukunft, Neues weiterschwimmen oder sich lieber schweigend noch ein wenig im Erlebten, Erlesenen treiben lassen?
Die Geschichte von Robert Mapplethorpe und Patti Smith werde ich jedenfalls nicht nacherzählen. Wozu etwas unbeholfen zusammenfassen, was alle anderen viel besser in voller Länge und ganzer Schönheit im Original nachlesen können? Zumal es doch in diesem Buch obendrein viele Bilder – Fotos von Smith wie Mapplethorpe aber auch Zeichnungen – zu betrachten gibt.
Also anders gefragt: Wie habe ich das Buch gelesen? Im Gegensatz zu „M Train“ und „The Year of the Monkey“, den beiden letzten Büchern der Ausnahmekünstlerin Patti Smith, die so etwas wie Meditationen über das jeweils gegenwärtige Leben sind, egal, wie viele Erinnerungen darin auch vorkommen mögen, handelt es sich bei „Just Kids“ tatsächlich um Memoiren.
Denn es ist rückblickend erzählt, wobei der Fokus auf den späten 1960ern und 1970ern liegt, also der Zeit, in der sich Smith und Mapplethorpe begegneten – ohne Geld, ohne Job, ohne Bleibe, aber mit starkem künstlerischen Freiheitsdrang. Zugleich bleibt Smith nah an ihrem jüngeren ich:
I was promoted at Scribener’s from the phone desk to sales. That year, the big sellers were Adam Smith’s „The Money Game“ and Tom Wolfe’s „Electric Kool-Aid Acid Test“, summing up the polarization of everything that was rampant in our country. I identified with neither. I felt disconnected from all thatwas outside the world Robert and I had created between us.
In my low periods, I wondered what was the point of creating art. For whom? Are we animating God? Are we talking to ourselves? And what was the ultimate goal? To have one’s work caged in art’s great zoos – the Modern, the Met, the Louvre?
I craved honesty, yet found dishonesty in myself. Why commit to art? For self-realization, or for itself? It seemed indulgent to add to the glut one offered illumination?
Just Kids, p. 61.
Ganz schön selbstkritisch, die junge Patti Smith. Aber das gehört zur Kunst, wie ich finde – man braucht einen starken Schöpferdrang oder auch Spieltrieb, Neugier, den Willen, einiges zu wagen, möglicherweise obendrein eine Art Überheblichkeit oder Arroganz (Mapplethorpe ist beinahe von Anfang an davon überzeugt, als Künstler nicht nur besser zu sein als die meisten anderen, sondern auch dass er Berühmtheit geradezu verdient), sondern auch Kritikfähigkeit. Der Zweifel kann nerven, runterziehen, sogar deprimieren, doch ohne ihn würden wir stehen bleiben, würde sich nichts weiterentwickeln.
Und dennoch liegt ein Teil des Zaubers, der Magie dieses Buches, darin, dass Patti Smith und Robert Mapplethorpe zwar als Menschen, Künstler, Liebende & Lebensfreunde aneinander wachsen, zwischenzeitlich auch aufeinander angewiesen sind, doch einander vom ersten Moment an so nah sind, dass sie kaum Worte brauchen. Und sie vertrauen einander unbedingt, wie man auch an dem Fotoshooting für „Horses“, das erste Album von Patti Smith, ablesen kann:
The light was already fading. He had no assistant. We never talked about what we would do, or what it would look like. He would shoot it. I would be shot
I had my look in mind. He had his light n mind. That is all.
Just Kids, p. 250
Ja und nein. Denn da ist noch mehr, was sich aber erst so richtig offenbart, als Robert Patti bittet, diesen Look zu ändern:
He said, „You know, I really like the whiteness of the shirt. Can you take the jacket off?“
I flung my jacket over my shoulder, Frank Sinatra style. I was full of references. He was full of light and shadow.
„It’s back,“ he said.
He took a few more shots.
„I got it.“
„How do you know?“
„I just know.“
He took twelve pictures that day.
Within a few days he showed me the contact sheet. „This one has the magic,“ he said.
When I look at it now, I never see me. I see us.
Just Kids, p. 251
Und dieses „uns“ ist für mich so etwas wie das Geheimnis und die Entdeckung in diesem Buch. Patti Smith öffnet darin nicht nur sich, gibt nicht nur Einblick in ihr frühes Leben und Werden als Künstlerin, verortet sich in all den Namen, Orten, Einflüssen und Begegnungen, die sie schildert. Sie erlaubt der Leserin zugleich, sie selbstz u sehen wie auch aus ihrem Blickwinkel die Dinge zu betrachten.
Irgendwo in dem Buch, diesen Memoiren, die sie schreibt, weil sie genau das Robert auf dem Sterbebett versprach, schreibt sie, dass sie nicht zur Schauspielerin tauge, weil sie immer nur sie selbst sei – auf der Bühne wie im Leben. Was ich nach der Lektüre von „Just Kids“ unbedingt bejahen würde.