Manche Bücher schlägt man auf und findet sich sofort darin wieder. Andere entführen einen in exotische Welten, die nach und nach zu etwas Vertrautem werden. In Petina Gappahs „The Book of Memory“ dagegen heißt der rote Faden meines Leseerlebnisses ‚Fremdheit‘ – und das auf ganz verschiedene Arten.
Da ist als erstes Memory selbst, die Hauptfigur und Ich-Erzählerin, die als Albino aus ihrem schwarzafrikanischen Umfeld auf den ersten Blick herausfällt. Doch nicht nur sie selbst ist fremd, auch ihre Familie scheint fremd: ihre unberechenbare Mutter, der Vater, der zuhause arbeitet, um stets aufpassen zu können und ihre Geschwister sind als Kleinfamilie in der Harare, die nie von Tanten, Onkel, Cousinen, Großmüttern und -vätern aus „ihrem“ Dorf besucht werden, wenigstens exotisch. Und dass Memory mit neun Jahren bei Lloyd, einem Weißen in einem weißen Teil der Stadt, landet und aufwächst, bevor sie in Cambridge studiert und erst Jahre später nach Simbabwe zurückkehrt, macht ihre Fremdheit nicht gerade kleiner.
Fremd ist – zumindest für mich als weiße Europäerin, die leider noch nie einen Fuß auf den afrikanischen Kontinent gesetzt hat – aber vor allem das Setting, eben Afrika bzw. ganz konkret Zimbabwe. Ein Kontinent mit einer völlig anderen Kultur bzw. einer Vielzahl mir fremder Kulturen, mit einer Geschichte, die ich nicht kennen, so dass ich Daten und Namen, Orte und Ereignisse wie ein kleines, naives, unbedarftes Kind gegenüberstehe. Das löst nicht nur ein Gefühl von Fremdheit aus, sondern auch eine gewisse Hilflosigkeit – als bewege ich mich in einem Raum, wo ich weder die Sprache der Bewohner spreche noch deren Gepflogenheiten kenne. Und dazu mischt sich eine Quantum Scham – wie kann es sein, dass ich, die ich als Akademikerin gebildet sein sollte, so gar nichts weiß über afrikanische Geschichte, über die Kultur(en) Simbabwes, etc.?
Petina Gappahs Roman reibt mir das beim Lesen nicht unter die Nase. Vielmehr bleibt Memory ganz bei sich, bei ihrer rätselhaften Geschichte und auch der ihres Landes. Ich wüsste wirklich gerne, wie sich dieses Buch aus Sicht einer ihrer Landsfrauen liest und welchen Unterschied dann die Hautfarbe machen würde. Aber das kann ich nicht wissen, ich bin nun mal nur ich, habe nur meine Geschichte, meine Herkunft, meinen Blickwinkel, um die Welt und eben auch diess Buch zu betrachten. Insofern könnte man meinen, einen gewisses Maß an Fremdheit wohnt uns allen und unser aller Leben inne.
Wobei – in Memorys Leben ist das noch ein ganzes Stück krasser als man bei anderen, denn sie muss feststellen, dass in ihrer Geschichte, ihrer Identität so manches ganz anders ist, als sie ihr Leben lang dachte. Was wiederum immerhin eine Sache ist, die ich selbst sehr gut kenne, sodass es in all dem Fremden (dem literarisch zu begegnen eine große Bereicherung ist!) dann doch auch etwas zutiefst Vertrautes gibt.