Hunger nach Sprache?

Mich macht gerade vieles sprachlos und das wiederum macht, wen wundert’s, das Schreiben nicht gerade leichter. Doch dann fällt mir heute Morgen dieser Text in die Hände – eine Art Brainstorming über die Tastatur, ein Rant & Rave über Sprache und Denken, Menschen & Sprechen, Gott und die Welt, ach ja, und KI kommt auch drin vor: „Babylon“ könnte ich meinen Versuch vielleicht nennen oder eben „Hunger nach Sprache?“

Babylon – die Idee, dass die Menschheit bis zu einem bestimmten Punkt dieselbe Sprache sprach, ist das eine. Die Vorstellung, dass ein Gott sich daran stört, dass die Menschen sich zusammentun um einen Turm zu ihm zu bauen, und er deshalb die Sprachverwirrung schickt, das andere.

Was für ein schwacher Gott muss das gewesen sein, dass er erstens nicht wollte, dass die Menschen zu ihm gelangen können und zweitens sie deshalb entzweit hat. Womöglich noch, um sich hinterher über ihre Uneinigkeit und ihr mangelndes Verständnis füreinander zu beklagen.

Wieso wird das im Christentum eigentlich als Versagen oder etwas Schlimmes der Menschen betrachtet? Welches Gebot haben sie da übertreten und wie sehen das die anderen Religionen?

Von heute betrachtet, könnte man sich glatt die Frage stellen, ob wir das nun selbst weiterführen, indem wir Sprache ausgrenzend benutzen. All die Slangs und Fachsprachen, all die Sprachgebote und Regeln. Raider heißt jetzt Twix, sonst ändert sich nix, von wegen!

Wieso streiten wir über Sprache, anstatt sie zum Brückenbauen zu verwenden? Zum Himmel streben mit einem Turm, das ist unsere leichteste Übung, aber wir wissen, da oben finden wir im Zweifel nichts als Weltraumschrott. Aber Brücken zueinander, Verständnis füreinander, das wäre doch was. Bloß, wir tun es nicht. Wir bestehen auf Gendern oder das Gegenteil, auf Fortschritt und Inklusion oder Tradition und Althergebrachtes, auf dies und das, auf Jägerschnitzel oder Romni, und in welchem Kontext ist eigentlich Indianerhäuptling als Begriff noch okay? Wir zerfasern alles auf der Suche nach dem ganz genau passenden Wort (was bei gefühlten 29 Geschlechtern mühsam wird), anstatt uns um das zu kümmern, worum es bei Sprache eigentlich geht: Verständigung miteinander. Sprechen über die Welt, in der wir sind. Über uns, wie wir sie erleben.

Und dann die LLMs, die manche gar KI nennen. Schön, dass man mit maschinellen Übersetzungen auf dem Handy in nahezu jedem beliebigen Land der Erde einigermaßen unfallfrei einen Cafe Latte mit Hafermilch (oder Haferdrink, wie das ja wegen der Milchlobby hierzulande oder war es die in der EU, heißen muss) zu bestellen.

Aber wie blöd, dass wir ihnen viel zu viel und dann auch noch das völlig Falsche zutrauen. Dass sie Antworten liefern würden auf unsere Fragen, wahre gar oder neue. Sie kombinieren Worte, die sie nicht verstehen, um Aussagen über eine Welt zu machen, die sie jenseits dieser Worte, die sie nicht verstehen, nicht kennen. Sie kauen ungemein geschickt wieder, was wir schon tausend Mal gesagt, geschrieben, gestammelt, geschrieen und oftmals hinterher bereut oder verworfen und geändert haben. Und wir halten das für schlau oder auch nur zutreffend, womöglich für neue Erkenntnisse.

Sprache wird zu Sprachmüll, der uns, ganz ähnlich wie der Weltraumschrott im Orbit die Erde, immer dichter umkreist und verwirrt, uns den Blick verstellt, die Luft zu atmen nimmt, den Ausweg stiehlt aus all der verdammten Sprachverwirrung. Fakenews von Internettrollen umgibt uns, und es ist schon fast egal, ob die von Menschen allein oder Chatbots mit oder ohne LLM oder welche Technik auch immer verbreitet werden. Sprache, die ein Fenster zur Welt sein könnte, die auch ein Fenster in die Seele und damit ein Spiegel für uns selbst sein kann, wird so zum Spiegelkabinett, einem wahren Irrgarten aus lauter Zerrspiegeln, die uns nichts mehr zeigen außer lauter unwirklichen Bildern von uns selbst.

Wie kommen wir da wieder raus – kommen wir da überhaupt je wieder raus?

Manchmal träume ich von einem globalen Stromausfall, der für ein paar Tage anhält, doch der wäre nicht nur die große fette Pausetaste im Dauergeschnatter ohne Sinn und Verstand, er wäre auch ein Megakiller, also nein, besser, das bleibt nur eine Vorstellung.

Aber es bräuchte etwas Großes, Radikales (im Wortsinn, zurück zur Wurzel, zurück zu uns selbst und der Frage, wofür brauchen wir Sprache wirklich und müssen eigentlich dauernd alle alle anderen dauerbeschallen?), eine Pause, eine Stille planetaren Ausmaßes.

Wie wäre das – für einen Tag ist alle Sprache, wie wir sie jetzt kennen, wie abgeschaltet, fort, verschwunden. Niemand kann mehr lesen oder sprechen (und, sorry, auch Gebärdensprachen wären nicht mehr verfügbar). Und wir könnten uns spüren, uns selbst, samt der Einsamkeit, die das Nichtäußernkönnen wohl machen würde, hätten gewiss Angst, könnten aber auch aufatmen und hätten Zeit, darüber nachzudenken, wofür wir Sprache brauchen (fürs Denken mal nicht, aber das ist eine andere Geschichte), hätten die Chance, im Nichts der Sprachbrache vielleicht zu fühlen, zu ahnen, was wir wirklich wollen.

Allerdings fürchte ich, wenn diese Stille so plötzlich endet, wie sie begann, sollten wir uns im ersten Moment sicherheitshalber die Ohren zuhalten.





Dieser Beitrag wurde unter Schreibkram, Wörtersalat abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert