Ob die Zeitspanne der Lebenszeiten der Komponistinnen, die von Hildegard von Bingen (1089-1179) bis zur 1962 geborenen Konstantia Gourzi reichten, ein Maß der Flügelspanne der besungenen Engel darstellt, weiß ich nicht. Sicher aber ist, dass ich das Konzert des B’Rock Orchestra & Vocal Consort am letzten Sonntag äußerst beschwingt und geradezu beseelt verließ. Und das, obwohl es eine Matinée war, ich also früh aufgestanden war und ohne Morgenschreibstunde losgemusst hatte!

Ich hatte keine Vorstellung gehabt, was mich erwarten könnte, sondern war nur froh gewesen, wenigstens bei einem der Konzerte des Komponistinnenfestivals „Her:Voice“ in der Philharmonie dabei sein zu können. Um so erfreulicher war es, dass hier nicht einfach nur zahlreiche Lieder musikalisch hervorragend dargeboten wurden, sondern dass es einen Bogen gab, der alles miteinander verband. Ein inszeniertes Konzert mit Bühnenbild (Sammy van den Heuvel) statt „Nummern mit Szenenapplaus“ – wie wunderbar!
Es begann im Dunkel, das komplette B’Rock Ensemble & Vocal Konsort aufgereiht am Bühnenrand, beleuchtet nur von dem Licht, in dem die drei Gazeschleier, die in der Mitte von der Decke herabhingen und in einem leisen Luftstrom tanzten – passenderweise mit Atemgeräuschen, aus denen nach und nach Gesang entstand, mit „Abschied“ und „Gebet“ aus „Der Engel der Eewigkeit“ von Konstantia Gourzi. Beeindruckend und berührend war das, und zog sofort in seinen Bann.
Ganz ohne, dass man es als Bruch emfunden hätte, vielmehr fast so, als sei das schlicht der nächste logische Schritt, folgte darauf Barockmusik geschrieben von Komponistinnen, die Nonnen waren – Vittoria Aleotti, Maria Perucona, Caterina Assandra und Isabella Leonarada -, in denen die Musiker:innen und vor allem die Sänger:innen des Vocalensembles glänzten und ich bedauerte, viel zu wenig Ahnung von geistlicher Musik und katholischer Liturgie zu haben. Schön und anrührend waren diese Werke aber auch so.
Mit gemessenen Auftritten, erst dem des Kontrabassisten Tom Devaere, dann dem der hinzutretenden Mezzosopranistin Lucile Richardot, begann Sofia Gubaidulinas Stück „Ein Engel“, in dem Verse von Else Lasker-Schüler vertont werden, die diese wiederum auf den Priester und Sozialarbeiter Carl Sonnenschein dichtete. Betörend, und manchmal auch im besten Sinne verstörend, welche Beziehungen hier Musik und Wort eingingen.
In Hildegard von Bingens „O vis eternitatis“ meinte ich im Miteinander des Wechselspiels zwischen Chor und Vorsänger gar das Klosterleben zu spüren – was aber auch daran liegen mag, dass ich mich mit ihr als Klostergründerin und Universalgelehrter bereits beschäftigt hatte und als junge Frau mehrfach im Kloster Eibingen zu Gast war.
Weiter ging es mit Werke von Leonora d’Este, der Tochter Lucrezia Borgias, sowie von Louise Farrenc (ein wunderschönes, gesungenes Gebet!), Ruth Crawford Seeger und Lili Boulanger, die in „Les Sirènes“ die Töchter des Meeres zum Singen bringt, glücklicherweise, ohne uns Zuhörende Schiffbruch erleiden zu lassen (aber womöglich wäre die Musik auch das wert gewesen). Den Abschluss bildete wiederum geistliche Musik mit einem Magnifikat von Margarita Cozzolani und Francesca Cassinis geistlicher Arie „O che nuovo stupor“.
Erstaunen ist ein gutes Schlusswort, denn erstaunlich war das Konzert für mich in vielerlei Hinsicht – etwa auch, was die Gestaltung der Sprache(n) anging, die man wunderbar im Gesang hören, sodass man den Texten leicht folgen konnte. Zumindest, soweit man die jeweilige Sprache beherrscht. Schade nur, dass nicht mehr Menschen den Weg in die Philharmonie fanden. Ich werde jedenfalls Augen und Ohren offen halten, um eine mögliche nächste Begegnung mit dem B’Rock Orchestra & Vocal Consort nicht zu verpassen!