Ausgelesen: Der Schlüssel zum Haus

Drei Generationen, drei Kontinente erzählt in einem Debütroman, dessen Übersetzung aus dem Portugiesischen von Marianne Gareis gerade mal auf 189 Seiten kommt, das ist Tatiana Salem Levys Roman „Der Schlüssel zum Haus„. Die Originalausgabe erschien in Brasilien bereits 2007 bei Editora Record, die Übersetzung 2023 im Secession Verlag in Zürich – und erreichte mich Weihnachten 2024.

Das Cover von Tatiana Salem Levys "Der Schlüssel" zum Haus - weiß und gold auf schwarz -, das ein altmoisches Schlüsseloch zeigt, auf einem weißen floralen Muster auf violettem Grund:
Ein schmaler Band, dessen Geschichte über drei Generationen und drei Kontinente reicht: „Der Schlüssel zum Haus“ von Tatiana Salem Levy

Ich war sehr neugierig auf das Buch, in dem es um mehrere Migrationsbewegungen geht: Der Großvater der Erzählerin verlässt Izmir auf der Flucht vor der unerfüllbar geglaubten Liebe zur Tochter seines Chefs nach Brasilien. Seine Tochter kämpft hier gegen die Diktatur, wird gefangen, gefoltert, geht schließlich ins Exil nach Lissabon, wo die Erzählerin geboren wird. Als die Kleine neun Monate alt ist, fällt die Diktatur und ihre Eltern kehren in die Heimat zurück. Viele Jahre später, da ist die Erzählerin bereits erwachsen, bricht sie zusammen mit ihrer krebskranken Mutter in die USA auf, doch auch dort kann man ihr nicht mehr helfen. Die Mutter stirbt, die Tochter stürzt sich in eine ‚toxische Beziehung‘, nach deren Ende sie wie gelähmt im Bett liegt – bis der Großvater ihr mit dem Schlüssel zum Haus in Izmir den Auftrag erteilt, dorthin zu reisen. Sie bricht auf (oder auch nicht, es gibt manche Passagen in dem Buch, deren Realitätsstatus vage bleibt bzw. die je nach dem, wie man sie liest, den des restlichen Buches in Frage stellen) und versucht, sich durch die Reise in die Vergangenheit ihrer Familie selbst zu befreien.

Dass es sich dabei um eine jüdische Familie handelt, ist eine Identitätsfrage unter anderen – zumindest liest es sich für mich so – und tritt je nach Generation und Ort unterschiedlich stark zutage. Für den Großvater scheint es ganz selbstverständlich Teil seines Lebens zu sein, jüdische Traditionen und Rituale begleiten sein Leben. Für die Mutter, eine aktive Kommunistin, ist es Teil der Kultur, in der sie aufgewachsen ist und die sie weitergibt an ihre Tochter. Für diese scheint das Thema in Brasilien wie Portugal keine oder keine große Rolle zu spielen, während es beim Aufenthalt in der Türkei einen seltsamen Effekt hat – als würde es ihr Recht, sich selbst als Türkin zu sehen, einerseits verstärken, andererseits jedoch schwächen, wenn sie es ausspräche, so liest es sich für mich.

Wobei es, wie schon angedeutet, ein Buch ist, das nach aktiven Leser:innen verlangt. Zum einen, weil es in kurzen Episoden erzählt wird, die teils wild zwischen den skizzierten Strängen springen und deren Inhalt gelegentlich den Realitätsgehalt des Erzählten in Frage stellt (während der Klappentext das Autobiografische des Romans unterstreicht). Zum anderen, weil die Erzählerin offenkundig nach dem Tod der Mutter weiterhin mit dieser einen Dialog führt, und obendrein nicht nur diese dabei mit „du“ anspricht bzw. anschreibt, sondern die ganze ‚toxische Liebesgeschichte‘ ebenfalls in der zweiten Person gerichtet an den Liebhaber erzählt wird. Was gelegentlich schon zu Verwirrungen führen kann, wenn man beim Lesen nicht sehr gut aufpasst.

Hinzukommt, dass ich literarische Bearbeitungen toxischer Liebesgeschichten leid bin -kennst du eine, kennst du alle und dann ist es wie mit den Fetischen Fremder, sie sind für andere nur befremdlich bis peinlich. Auch Tatiana Salem Levy gelingt es leider nicht, mich für ihre zu interessieren. Während ich alles andere verschlang und mich immer wieder selbst beim Lesen bremste (weil es ein so kurzes Buch ist und dann so diffizil geschrieben, s.o.), musste ich mich hier bald zwingen, die entsprechenden Passagen auch nur querzulesen.

Und damit bleibe ich am Ende des Buches nun ein wenig ratlos zurück. Levy kann schreiben, ohne jeden Zweifel, und sie hat mir gezeigt, dass ich noch ganze Kontinente lesend zu entdecken habe. Das ist wunderbar. Aber bevor ich ein weiteres Buch von ihr lese, werde ich sicher gehen, dass keine toxischen Liebesgeschichten darin vorkommen …

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