Ist es fair, dass die einen erben und die meisten anderen leer ausgehen? Das ist doch die reine Eierstocklotterie, wie es Nora Abdel-Maksoud treffend in „Jeeps“ nennt. Rafael Sanchez hat das Stück jetzt am Essener Grillo-Theater inszeniert und ich hatte ziemlich viel Spaß an der schwarzen Komödie, die er daraus macht.
Wir befinden uns, nun ja, auf einer Theaterbühne (Thomas Dreißigacker) mit offenem Vorhang aus gemalten Lappen und zartem Licht, auf der eine Wandabwicklung mit Treppen, Türen und Fenstern, die sich später drehen wird, doch stets nur Versionen von Hinterbühnen kennt. Über allem schwebt ein doppelter Kronleuchter und weiter vorne eine Glühbirne, die nicht mehr recht will. Mit dem Ringen um Rollen, (Karriere)Leitern und den Wechsel der Glühbirne beginnt das Ganze quasi auf der Metaebene und das ziemlich akrobatisch. Die Leiterkletterei von Christopher Heisler, Floriane Kleinpass und Mansur Arjang mitanzusehen, könnte für höhenangstgeplagte Gemüter und Restgefährdungsfanatiker durchaus schwindelerregend sein und bietet so einen Vorgeschmack auf die wilden Wendungen der eigentlichen Geschichte rund um einen ‚Vorfall‘ im Jobcenter.
In diesem treffen nach einer Erbrechtsreform nämlich nicht mehr nur Arbeitssuchende (inzwischen durch ihre Kinder vertreten, da sonst der Wartebereich zu klein wäre) und Bürgergeldempfänger, die mit unzureichenden Regelsätzen und überbordenden Formularanforderungen zu kämpfen haben (sprachfehlerhaft-perfekt verkörpert von Floriane Kleinpaß als Maude) aufeinander. Neuerdings werden hier zudem sämtliche Erbschaften verlost, als zweite Runde nach der Eierstocklotterie, bei der alle gleiche Chancen haben (sollen). Wofür man, Sie ahnen es, natürlich wiederum Anträge auf ein Los stellen muss, was die enterbten Erben (überfordert fordernd und dabei sehr überzeugend: Bettina Engelhardt als Silke) aufs Amt treibt, wo sie mit ihren Ansprüchen für Mehrarbeit sorgen, die die Angestellten – Möchtegernvorgesetzter Armin (gespielt von Mansur Ajang) und Jeep-Besitzer Gabor (brillant: Christopher Heisler) – sehr unterschiedlich angehen.
Die Konflikte mit wechselnden Allianzen zwischen den Figuren durchlaufen zahlreiche, oft überraschende Wendungen. Teils ist das Ganze turbulent und sehr bewegt angelegt, und erinnert mit Drehbühnendrehs und all dem Auf- und Ablaufen der Figuren auf den Treppen und allerlei Slapstickeinlagen ein wenig an rasante Komödie in der Art von „Der nackte Wahnsinn“. Die Figuren jedoch sind mehr als komische Zuspitzungen ihrer selbst, eine jede besitzt bei aller Absurdität eine eigene Tragik, ja Würde. Und so lässt mich die Art, wie sie einander immer wieder gegenseitig entlarven, an die Stücke von Jasmina Reza denken, bei denen mich jede Figur mit ihrer Sichtweise auf die Dinge mitnimmt und (für den Moment) überzeugt, sodass ich ständig hin- und hergerissen bin. Und manchmal frage ich mich dann sogar, wer von denen auf der Bühne wäre ich, wäre das Spektakel real und ich Teil davon?
Dabei ist Nora Abdel-Maksouds Prämisse natürlich in sich komplett absurd – denn wie bitte sehr soll mehr Gerechtigkeit entstehen, wenn Vermögen nicht nur einmal durch Geburt & bestehendes Erbrecht sondern noch ein zweites Mal per amtlich zugestandem Losverfahren zufällig ungleich verteilt werden? Hier geht es ja nicht um eine Umverteilung à la „Ein Grunderbe für jeden“, bei dem alle dasselbe erhalten, sondern es werden die Erbschaften so, wie sie anfallen (vom Fotoalbum bis zum Aktienportfolio), einfach nur einer anderen Person zugelost.
Aber es geht auch nicht darum, ein Lehrstück samt Lösungen zu präsentieren. Wie heißt es so schön zu Beginn des Stücks? „Wir wollen eine Neiddebatte anstoßen.“
Wer hätte gedacht, dass sich das so schön böse unterhaltsam machen lässt. Deshalb: Ganz gleich, ob Sie zu den potenziellen Gewinnern oder Verlierern der Eierstocklotterie gehören, das Stück sollten Sie sich anschauen. Denn: Enterbt oder nicht, Erfahrungen kann einem keiner nehmen. 😉