Einfach nur wunderbar

Manche Bücher sind so schön, berühren so tief, dass ich am Ende das Gefühl habe, ich muss sie ganz vorsichtig beiseite legen und erstmal durchatmen, das Erlesene überschlafen, bevor ich darüber schreiben kann. Einfach, weil diese Bücher zugleich so zart – so feingewoben – sind, dass sie ungemein zerbrechlich wirken, obwohl sie doch so stark in mir nachwirken. Was als paradoxes Bild ziemlich gut zu meiner Vorstellung von dem Armband aus dreiundreißig schimmernden Perlen passt, das Sharon Dodua Otoos Roman „Adas Raum“ durchzieht.

Das Cover der Taschenbuchausgabe von Sharon Dodua Otoos Roman "Adas Raum"
Öffnet Denkräume und Echokammern für fühlende Wesen: Sharon Dodua Otoos Roman „Adas Raum“.

Es gibt schon eine ganze Reihe Rezensionen des 2021 erschienen Buches, das der langerwartete Debütroman der deutsch-britischen Schriftstellerin ist, die wiederum 2016 den Ingeborg-Bachmann-Preis mit „Herr Göttrup setzt sich hin“ gewann. Meist beginnen diese mit einem Versuch, den Inhalt des Buches zusammenfassen, in dem ein ganz besonderers Erzähler von Totope (Westafrika) im 15. Jahrhundert über London im 19. Jahrhundert, das KZ Dora im 2. Weltkrieg bis ins heutige Berlin jeweils (einer) Ada durch eine Zeitschleife bzw. ein Leben folgt, in dem das Armband eine Rolle spielt. Besonders am Erzähler ist dabei, dass er/sie jedes Mal ein Ding (vom Reisigbesen bis zum Reisepass und zwischendrin, in Dora, eben Adas Raum) ist, das sich zugleich nach lebendiger Verkörperung sehnt.

Das Durchmessen der Zeiten und Leben, mitsamt Zwischenstücken, in denen Erzähler immer wieder das Gespräch mit Gott sucht, lässt dabei ein Gewebe entstehen, das mal wie die Leinwand wirkt, auf der die Erzählung wie auch Vorurteile projeziert werden, mal als Netz erscheint, das die Figur(en) in ihrem (leidvollen) Schicksal gefangen zu halten scheint, sich jedoch am Ende als der Faden erweist, der uns alle verbindet.

Diese Erzählweise lässt einen nicht mehr los, man möchte das Buch gar nicht aus der Hand legen, selbst wenn es sehenden Auges zwischendrin (wieder) ins Verderben geht. Noch fesselnder ist womöglich Otoos Sprache, präzise und klar und zugleich schwebend, als träfe Logik auf Lyrik, so fühlt sich das für mich an.

Ob das mit Adas Hang zur Mathematik zusammenhängt? Den teilen die vier Adas bzw. diesen behält Ada in jedem ihrer vier Leben – Leben voller Schicksalsschläge, Leben zwischen Kulturen, Leben auch voller Gewalt, denen Ada jedoch jedes Mal eben mit Logik und Eigensinn, fast möchte ich sagen: auch mit Mut und Anmut (mir fehlt im Deutschen doch immer wieder ein echtes Äquivalent zu ‚grace‘) begegnet.

Was immer es ist, vielleicht finde ich es ja heraus, wenn ich eines Tages dieses wunderbare Buch ein zweites (oder drittes) Mal lese? Aber erst einmal werde ich mir endlich „Herr Göttrup setzt sich hin“ besorgen, um tiefer in Otoos Sprache einzutauchen.

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