Musik in stürmischen Zeiten

Während draußen der dritte Sturm in Folge Anlauf nimmt, das Segeln auf Coronawellen immer eigenartiger wird, und die Weltpolitik immer eisigere Drohkulissen auftürmt, hat es mich in den letzten 14 Tagen gleich drei Mal ins Musiktheater verschlagen: An zwei Abenden im Aalto-Theater sah ich gleich vier Opern und dazwischen besuchte ich ein Jazz-Konzert in der Philharmonie.

Den Anfang machte „Il Trittico„, wie Giacomo Puccini die drei Einakter nannte, die er zu einem Openabend zusammenführte. Um Liebe und Tod quer durch die Zeiten geht es darin. Am Anfang „Il Tabbaro“ (Der Mantel) dreht sich alles um Leidenschaft und Liebe und um den tragischen Tod eines Kindes. Im Original spielt das wohl um die vorletzte Jahrhundertwende, in etwa zeitgenössisch zur Uraufführung 1918 an der Met in New York. Regisseur Roland Schwab verwandelt die Geschichte tatsächlich, wie es im Programmheft heißt, in einen Krimi à la Noir, wo alle mit allen Wassern gewaschen sind.

„Suor Angelica“ entführt die Zuschauer in ein Nonnenkloster im 16. oder 17. Jahrhunderts, wo Liebe Sünde gleichkommt und der Tod wieder der eines Kindes ist, aber all das überwunden wird, melodramatisch oder auch spirituell. Doch gleich wie man es nennt, ganz gleich, woran man glaubt oder auch nicht, ob man Pink mag oder es nur als Kontrast zur großen blauschwarzen Umgebung zu würdigen weiß – was Jessica Muirhead hier in der Titelrolle vermag, ist ungemein berührend.

Zum Schluss in „Gianni Schicchi“ mit all seinen Erbschleichern und anderen Familienmitgliedern, die aus dem Freitod des Erbonkels auf die eine oder andere Weise Kapital zu schlagen versuchen, trifft endlich Oper auf Commedia del’arte und Puccini tanzt mit Dante. Was für ein herrlicher Abschluss für einen wirklich hervorragenden Abend – dreieinhalb Stunden mögen lang klingen, sind es aber nicht. Nicht in dieser Inszenierung, nicht mit diesen Sängerinnen und Sängern, nicht mit diesem Orchester, diesem Chor und erst recht nicht an diesem Teich, diesem „Seelengewässer“, wie es der Regisseur nennt. Und wenn das jetzt mysteriös klingt und verlockend dazu, gut so, also auf, Karten kaufen. 🙂

Das kann man auch jedem raten, der an moderner Oper interessiert ist. Bela Bartoks „Herzog Blaubarts Burg“ teilt mit Puccini zwar die Entstehungszeit, ist musikalisch jedoch schwieriger zugänglich, hat aber den Vorteil, dass die meisten Menschen die Geschichte von Blaubart und seinem Schloss mitsamt all seinen blutigen Geheimnissen und toten Ehefrauen zumindest schon mal gehört haben.

Paul-Georg Dittrich inszeniert die dunkle Sage als düstere Liebesgeschichte, als Eintauchen in die Seelen zweier verzweifelt Liebender – das ist zumindest eine Deutung, die sich aufdrängt, wenn Judith (machtvoll gesungen von Deirdre Angenent) ihren Blaubart (facettenreich und tief in jeder Hinsicht: Karl-Heinz Lehner) mit allem, was sie auzufbieten hat, dazu bringt, seine Burg und wohl sich selbst zu öffnen. Schmerzhaft ist das, immer wieder mit Momenten der Hoffnung und des Lichts, und selbst im unvermeidlichen, tragischen Ende liegt noch etwas Zartes, das wohl Blaubarts Liebe sein muss.

Das sich herabsenkende gewaltige Zimmer als Bild des Öffnen der Türen durch Judith ist ein starkes und packendes (Bühneu und Kostüm: Sebastian Hannak). Die schwarzweißen Filmprojektionen (Video: Karl Wido Meyer), die mit ihrer Leinwand ums Bühnenrund laufen, wecken Erinnerungen an Murnaus „Nosferatu„, das passt, lässt noch tiefer eintauchen in die eigentümliche Stimmung des Ganzen. Was ich aber aus dem Rund aus Schaukelsitzen machen soll, die zusammen mit den blauen Lichterketten, die gegen Ende an der Decke des Zuschauerraums auftauchen, und dem glühbirnengespickten Schild „Es war einmal“ an einen Zirkus oder auch ein Riesenkettenkarussel denken lassen, weiß ich beim besten Willen nicht. Das sieht aufwändig auf und vermutlich haben die Zuschauer, die dort oben Sitzplätze erwarben, auch Freude an ihrem besonderen Blickwinkel, doch was es mit der Geschichte macht, bleibt schleierhaft. Doch das muss niemand davon abhalten, sich selbst ein Bild zu machen.

Ganz und gar eigene Bilder machen kann man sich dagegen wunderbar in einem Konzert von „Mammal Hands„. Ob die drei Musiker aus Nowich – Nick Smart am Klavier, Jordan Smart am Saxofon und Jesse Barrett am Schlagzeug – immer noch als Geheimtipp unter Jazzfans gelten, wei ich nicht. Sicher dagegen ist, dass mich ihr sehr spezieller Sound, dem man anhört, dass sie alle drei gleichberechtigt an ihren Stücken arbeiten, anspricht und mitnimmt in alle möglichen inneren Welten, Emotione und Gedankensphären. Dass sie sich so stark aufs Zusammenspiel fokussieren, klang vermutlich nicht nur in den Ohren meiner Begleiterin zuweilen etwas breiig. Doch es hat einen hypnotischen Effekt. Ich fühlte mich jedenfalls ein wenig wie Alice in Wonderland und war entzückt über all die inneren Bilder. Mal schien ein Stück im Untergeschoss eines englischen Cottages zu beginnen, nur um dann wie Kinderspiel hinauszuführen ins Freie und schließlcih überraschend in der afrikanischen Savanne zu enden. Andere Stücke hatten für mich etwas von tanzender Geometrie (gut, das mag womöglich gewissen Synästhesien meiner seltsamen Synapsen geschuldet sein) und wieder andere schienen in Träume von Tieren zu führen.

Ich weiß gar nicht, wann ich zuletzt Gelegenheit hatte, Musik einfach nur auf mich wirken zu lassen und dabei immer wieder den Bildern und Assoziationen zu folgen, die sonst so eigentlich nur im Randgebiet zwischen Wachen und Schlafen auftauchen.

„Thank you for braving the storm“, hatte Nick Smart das Publikum im RWE-Pavillon begrüßt. „Let’s raise a storm in here and create something truly inescapable.“ Bei mir ist das den drei Briten gelungen. Und eines ist mal gewiss: So viel Zeit wie zuletzt mag ich sicher nicht zwischen zwei Jazzkonzerten vergehen lassen. 🙂

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