Eine graue Halfpipe mit zwei kleinen Bänken in der Schräge und einer größeren Bank neben einem Wasserspender im flachen Teil, darum nichts als Leere, keine Wände, kein Halt, kein Weg – das ist zu sehen, während die Zuschauer ihre Plätze suchen. Endlich Dunkel, Ansage, Maskenabsetzen. Plötzlich steht da eine Gestalt, wie die Statue eines Bergsteigers auf dem beschwerlichen Weg nach oben. Zögerlich erhellt kaltes Licht (Dirk Struwe) die Bühne von Lena Natt, und dann geht es los mit der Premiere von „Gift. eine Ehegeschichte“ in der Essener Casa.
Lot Vekemans‚ Stück lässt ein Ex-Ehepaar zehn Jahre nach dem Tod des gemeinsamen Sohnes auf dem Friedhof das erste Mal wieder zusammentreffen. Gift soll dort im Boden gefunden worden sein, Gräber müssen umgebettet werden. Die beiden, die im Stück keine Namen haben, warten auf einen Vertreter der Friedhofsverwaltung – und das bietet dann den Raum, sich auseinanderzusetzen mit der Trauer, in die Sie (Janina Sachau) sich vergraben, ja regelrecht verbissen hat, und vor der Er (Sven Seeburg) ausgerechnet am Silvesterabend floh.
Warten, das mag auf den ersten Blick nach Langeweile klingen, ist aber eines der produktivsten und vielseitigsten Settings im Theater – und das ganz sicher nicht nur bei Becketts „Warten auf Godot“. Denn wer wartet, hat Zeit und nichts zu tun, um diese unmittelbar totzuschlagen. Und in Sophie Östrovskys Inszenierung wird das Warten zum Schwebezustand, in dem alles möglich ist. Als „Dauergegenwart“ ist es ein Gegensatz sowohl zu Ihrer Trauer, die sich an die Vergangenheit klammert, als auch zu Seinem Versuch, den Verlust zu überwinden und sich der Zukunft zu öffnen.
Diese beiden grundverschiedenen Arten, mit dem Tod umzugehen, setzt die Regisseurin auf der klaustrophobisch anmutenden Bühne gekonnt in Szene. Die Dialoge der beiden Ex-Partner und Ex-Eltern sind ohnehin spannungsgeladen, doch das schier nervenzerreißende Band zwischen ihnen bleibt stets spürbar, selbst, wenn einer der beiden kurz die Bühne verlässt. Und oftmals sind die Momente, in denen die Worte versiegen, das Gespräch ins Stocken gerät, die beredesten, vielsagendsten. Das kann nur präzise inszenierte Schauspielkunst – und ich gestehe, das weckt in mir immer wieder den Wunsch, bei den enstprechenden Proben einmal Mäuschen zu spielen …
Das Stück mag die eine oder andere Länge haben, aber das tut dem Gesamteindruck eines rundum gelungenen Abends, bei dem Regie, Bühne, Kostüme und last but not least das Können der beiden Schauspieler wirklich zusammenkommen, keinen Abbruch, und der langanhalten Applaus am Ende war mehr als verdient.