Eigentlich liebe ich Tschechow, und es stört mich gar nicht, dass der Stillstand, Menschen gefangen in Rollen und Erwartungen, bei ihm eine Art Grundthema sind und noch dazu Melancholie alles durchzieht. Und normalerweise kann ich gar nicht begreifen, warum das Gros des Essener Theaterpublikums damit genausowenig wie mit Horvaths Werken anfangen kann. „Der Kirschgarten„, der vor genau einer Woche in der Inszenierung von Alice Buddeberg im Grillo-Theater Premiere hatte, belehrte mich in dieser Hinsicht ungemein.
Aber der Reihe nach. Am Anfang, wenn Firs (Sabine Osthoff) vor dem eisernen Vorhang erwacht, war ich gespannt. Die kreideweiße Gestalt, die das Publikum direkt anspricht, nahm mich gefangen. Als der Eiserne sich hob und die gespiegelte Bühnensituation samt in den Zügen hängenden Balkonen sichtbar wurde, folgte ich ihr dennoch weiter ins Stück. Warum ausgerechnet „Der Kirschgarten“ in einem fast leeren Theater spielt, wo ein paar verlorene Gestalten auf Theatersesseln warten, erschloss sich zwar nicht, aber, das hätte ja noch kommen können. Die Live-Musik, gesungen und gespielt von Dunjascha (Stephanie Schönfeld) und Jepichodow (Jens Winterstein) hatte jedenfalls was.
Aber danach kamen zwar noch jede Menge Personen – in diesem Stück sind, sobald Ljubow (Silvia Weiskopf) aus Paris wieder in ihr Vaterhaus zurückkehrt – alle nahezu immer auf der Bühne, doch spannend war nichts mehr und ein Spiel zwischen den Figuren entstand auch nicht. Das wird für das Publikum auch dadurch erschwert, dass so gar nicht klar wird, wer sind denn nun die, die mit Ljubow heimkehren und wer waren all jene, die mit Warja (Henriette Hölzl) und auch Lopachin (Philipp Noack) zuhause die Stellung zu halten versuchten? Wenn auf der Premierenfeier selbst an der Produktion beteiligte Personen darüber rätseln, heißt das, hier ist eindeutig etwas schief gelaufen.
Und, ja, gewiss doch, auch bei Tschechow reden die Figuren desöfteren aneinander vorbei, aber das wird nicht besser, wenn die Regie das genau so auf die Bühne bringt: immer wieder sprechen die Figuren direkt nach vorn zum Publikum statt zueinander. Beziehungen zwischen ihnen werden gelegentlich behauptet – wie etwa zwischen den Geschwistern Ljubow und Leonid (Thomas Büchel)- spürbar wird davon jedoch nichts. Man sieht Figuren zu, die wieder und wieder nahezu das selbe sagen, um nicht handeln zu müssen. Eine Handlung findet nicht statt. Entwicklung auch nicht.
Was bleibt, ist die Musik. Die hat zwar keinen erkennbaren Zusammenhang zum Stück, aber sie durchbricht immerhin für Momente die lähmende Langeweile. Wenn nurmehr das von Tschechows sensibler Melancholie bleibt, und das bei einem Stück, das auch ohne aufgesetzte moderne Textversatzstücke eine unheimlich treffende Parabel auf uns Heutige und unser Verhalten angesichts von Klimawandel und Artensterben sein könnte, verstehe ich jeden, der damit nichts anfangen kann. Schade, denn „Der Kirschgarten“ kann auch tragisch-schön, melancholisch-berührend sein. Aber so wird daraus sicher nichts.