Lauter langsame Lieder

Es ist inzwischen so etwas wie eine kleine, liebgewordene Tradition: Am Jahresende gehe ich in die letzte Vorstellung der Reihe „Jazz in Essen“. So lernte ich u.a. Erika Stucky kennen, bekam Gänsehaut und Tanzlust bei Jasmin Tabatei und hatte auch schon mal Dinner for Fins. Gestern stand Charles Dickens „Eine Weihnachtsgeschichte“ auf dem Programm und ich war sehr gespannt, was drei Jazzmusiker wohl zu der Erzählung aus dem Jahr 1843 einfallen würde.

Jenny Evans hat als Sängerin eine betörende, volle Stimme und ihr britischer Akzent beim Vorlesen von Dickens Klassiker hat Charme – zumindest solange sie nicht versucht, unterschiedliche Figuren in unterschiedlichen Stimmlagen ‚zu spielen‘ oder sich im Text verhaspelt. Peter Tuscher schlägt sich als Stimme von Ebenezer Scrooge recht gut, aber warum muss er seine Trompete so überaus gedämpft spielen? Das Publikum im Grillo-Theater (dessen so klare wie klangvolle Akustik mich jede musikalische Vorstellung aufs Neue erfreut) besteht doch nicht aus lauter muffeligen Nachbarn in einem hellhörigen Mehrfamilienhaus, die die täglichen Fingerübungen ihres Mitbewohners nicht mehr hören können – wir alle sind doch gerade wegen der Musik da! Verantwortlich für die ist Walter Lang, der den größten Teil des Abends die beiden anderen während ihrer Lesung nach Stummfilmart am Flügel begleitet. Das hat was, gewiss, das könnte ein Anfang, ein Ausgangspunkt sein … doch musikalisch bleibt’s bei Begleitung einerseits und Weihnachtsliedern andererseits, dazwischen eine Version von „My Way“, die so langsam und in Watte daherkommt, als trügen zwei Mitarbeiter eines Beerdigungsinstituts diese Hymne des triumphalen Abgangs in einer überschweren Sänfte fort.

Schade. Ich hatte mir mehr erhofft, mehr Jazz, mehr Spielfreude und wenn es schon der nahezu ungekürzte Text von Dickens ist, den dann bitte richtig gut gelesen, so dass dem Ganzen möglichst auch jemand, der ihn noch nicht kennt, folgen kann. Ein Klassiker der Weihnachtsliteratur, eine tolle Jazzstimme, zwei hochgelobte Jazzmusiker dazu, da hätte mehr drin sein müssen. Aber vermutlich fehlte neben einem echten musikalischen Konzept (die langsamen Lieder gestern waren nichts als Deko in meinen Ohren, teils sehr hübsche Deko, die Lust auf mehr machte, aber eben gerade nicht mehr) der oder die vierte im Bunde: die Regie.

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