Schon viel zu lange ist es her, dass ich die letzten Seiten in Siri Hustvedts Essaysammlung „What Are We?“ las. Ob mir die vielen Klebezettel, mit denen ich meinen Weg durch die letzten Essays markierte, noch etwas sagen werden? Spannende Zitate sollten es bei dieser Autorin aber allemal sein (noch sollte mich kein Glitch in irgendeinem Uploadfilter am korrekten Zitieren hindern, hoffe ich …).
Los geht es in meiner Zettelwirtschaft mit dem Essay „Suicide and the Drama of Self-Consciousness“:
What does it mean to kill yourself, to kill your „self“? What is being attacked and/or escaped from? There is no consensus about what a self is. It contours change or even vanish depending on your particular perspective – philosophical, psychological, or neurobiological. Is the self an illusion or something real? Is it an aspect of our consciousness?
[Siri Hustvedt: „Suicide and the Drama of Self-Consciousness“, in: „A Woman Looking at Men Looking at Women“, p. 418]
Das sind gute Fragen, und das auch noch aus zwei weiteren meiner eigenen Perspektiven, wenn man so will: der der Autorin, die seit Jahren Uni Seminare rund ums Thema Identität (in der Literatur) gibt, und dabei mit jedem Mal tiefer ins Grübeln darüber gerät, ob es in der Realität jenseits der Worte tatsächlich etwas gibt, das sich mit „Identität“ bezeichnen lässt und was in Bezug darauf dann bitte sehr „das Selbst“ sein soll – denn alles, auch und gerade die eigene, vermeintlich ach-so-feste Identität, das oh-so-unverrückbare Selbst ist doch offensichtlich dem Wandel unterworfen (und wer jetzt denkt, stimmt nicht, ich bin mir immer gleich geblieben, möge sich einfach nur eine Minute ganz ehrlich an all die so felsenfesten musikalischen oder modischen Überzeugungen aus der Pubertät erinnern …). Und dann ist da noch die Perspektive eines Menschen, der immer mal wieder am Rand dessen stand, was aushaltbar, überlebbar scheint: in diesen tiefschwarzen Momenten war es für mich stets das Selbst und die Fähigkeit, mir meiner selbst bewusst zu sein, die ich hinter mir lassen wollte, ja, die ich am liebsten nie gekannt hätte.
Ganz klar: Selbst und Selbstmord gehören zusammen, das zeigt die deutsche Sprache ja auch deutlich. Aber Hustvedts Fragen verweisen auf ein tieferliegendes Problem, wie ich meine, und so macht sie sich erstmal auf die Suche nach dem ominösen Selbst:
In chapter 10 of his Psychology, William James describes several selves – material, social, and spiritual – but his „self of selves“ is „felt“. He calls this „empirical“ and embodied self „Me“. [….] what James called the „I“ or knower, a self that remembers its past and anticitpates its future. Suicide is an intentional conscious act. Before you do it, you have to picture it, think about it […] It requires reflective self-consciousness, an active projective imagination in which the person sees himself or herself dead. The Me can experience terrible suffering, but only the I can form an argument for killing.
[Hustvedt, „Suicide and the Drama of Self-Consciousness“, p. 420f]
Die Unterscheidung von „I“ and „Me“ ist in diesem Sinne alles andere als leicht adäquat ins Deutsche zu bringen: naheliegend wären „Ich“ und „Selbst“, aber hieße das dann, dass in dieser Argumentation dann das „Ich“ das „Selbst“ umbringt? Und was genau bedeutet Zukunft für einen hoffnungslosen, suizidalen Menschen?
The word „hopelesness“ implies the future by definition. And the future is, of course, pure fiction. We do not know what awaits us; our expectations are made from our stories from the past. Do suicidal people lack imaginative flexibility?
[Hustvedt, „Suicide …“, p. 428]
Interessanter Ansatz, wie mir scheint. Als wir durch den oft sehr düsteren Tunnel liefen, den eine Traumatherapie auch bedeutet, gab es immer wieder Punkte, an denen alles unerträglich schien. Und doch liefen wir weiter, nicht zuletzt, weil wir ja wussten, wir könnten uns auch morgen noch umbringen. Also konnte man genauso gut weitermachen und schauen, wie viel ein Mensch noch aushält … keine Ahnung, wie das für jemand klingt, der nie an einem solchen Punkt war. Für mich ist es lebensbejahend. Und es braucht nicht mal besonderes Vorstellungsvermögen, bloß noch einen Rest Neugier. Ist es dann das, was Menschen, die sich tatsächlich umbringen (und dies nicht als Ausweg aus einer unerträglichen Krankheitsgeschichte tun), fehlt?
Interessant und wichtig finde ich den Schluss, zu dem Hustvedt in ihrem Essay kommt:
There is no simple answer to suicide, no easy way to explain it or prevent it. I am convinced, however, that it always „has something to do with the other.“ It occurs in a zone between people and turns on the profound need every person has to be recognized. It my involve tender or brutal feelings or both at once. It can be rational or mad. And it always involves the imagination, the self as other, the self seen as an object of love or hatred, pride or shame. Without the doubling of the self, without reflective selfconsciousness, there is no one to kill.
[Hustvedt, „Suicide …“, p. 433]
Dem weiß, kann und brauche ich nichts hinzuzufügen.