Wer bei dieser Hitze glaubt, der Geist – das Denken, das Bewusstsein und das Ich womöglich noch dazu – ließe/n sich vom Körper abstrahieren, wäre/n mithin also nicht von Umgebungsbedingungen beeinflusst, der stammt vermutlich aus dem Death Valley oder hat bereits einen Hitzschaden. Vielleicht steckt aber auch eine Wahnvorstellung dahinter, wie die, denen Siri Hustvedt in ihrem Essay „The Delusions of Certainty“ quer durch die Wissenschaftsgeschichte nachgeht. Weitere Lieblingszitate daraus gibt es nun hier:
Wie lässt sich das verstehen, was wir als unser Denken, unseren Geist bezeichnen? Was ist daran angeboren, was kulturell bedingt? Und in welchem Verhältnis steht das dann wieder zu unserer Biologie?
Experience happens to and in a body. And experience becomes that body unless there is a separate sphere, the mind, floating above the body and the brain, which stores experience in a separate mind pocket inside or beyond our gray matter. The letters of the alphabet and the words they form, numbers and their equations, laws and rules, are not biological, it is true. They are abstractions, symbols, but once they enter us, they become part of our memory, which involves, at the very least, physiological processes. […] The meanings of the words have become a part of my physiological reality.
[Siri Hustvedt, The Delusions of Certainty, in „A Woman Looking at Men Looking at Women“, p. 171]
Ich muss gestehen, während es auf der Hand liegt, dass wir ohne Körper nicht in der Lage wären, mit der Welt zu interagieren, und dass all unsere „inneren Prozesse“, ob wir sie nun Denken oder Fühlen nennen, ohne diese materielle Grundlage nicht möglich wären – so konsequent über die Verbindung zwischen beidem habe ich noch nie nachgedacht.
Ob das verwandt sein könnte mit Annahmen über die Auswirkungen biologischer Unterschiede zwischen den Geschlechtern auf die geistigen Kapazitäten? Nachdem die meisten diesbezüglichen Vorurteile sich wissenschaftlich nicht haben beweisen lassen, scheint die Fähigkeit, 3-D-Objekte im Kopf rotieren zu lassen, tatsächlich bei Männern statistisch nachweisbar höher ausgeprägt zu sein. Das wiederum nehmen manche Theoretiker als biologisch bedingte, kausale Ursache, warum weniger Frauen als Männer ihr berufliches Glück in der Mathematik oder Physik finden. Und dann ist da ja noch die Sache mit den stärker ausgepägten, verbalen Fähigkeiten von Frauen … Schriftstellerin und Feministin Hustvedt kann nicht widerstehen, darauf entsprechend geschliffen zu entgegnen:
However, if one applies the same logic used to link spatial rotation to various professions, one would expect women’s greater verbal fluency to catapult them to the top of the literary world. And yet, despite this frequently observed female advantage, literary ‚genius‘ is most often applied to the male side of the sexual divide. If the success of male literary lights is not due to their superior language skills, perhaps it is rooted in the fact that they are better at rotating their 3-D characters in mental space, seeing them from every possible angle: hanging from the ceiling, suspended sideways, walking on their hands. The reasoning that animates the argument – inferior spatial rotation skills have a causal relation to the numbers of women in mathematics, physics, etc. – is seriously flawed.
[Hustvedt, S. 214]
So schön kann Ironie in einem Essay sein, wenn frau ihren Verstand und ihr Sprachzentrum zu gebrauchen weiß. Wobei das Lesen guter, wissenschaftlicher Artikel auch ohne Ironie Freude machen kann, denn so deute ich das, was Hustvedt über Thomas Nagels philosophischen Essay „What Is It Like to Be a Bat?“ von 1974 schreibt:
In the essay, Nagel argues that the subjective experience of being you, me, or a bat takes place from a particular first-person perspective for you, me, or the bat and that no objective third-person description can fully charaterize that reality. He is not arguing against objective positions, but rather that by reducing the subjective to the objective, something goes missing.
[Hustvedt, p. 241]
Interessanter Gedanke. Sonst heißt es ja gerne, dass etwas „nur“ subjektiv sei, und in der Wissenschaft gilt zumindest die „Objektivierbarkeit“, d.h. die Wiederholbarkeit eines Experimentes oder auch die Nachvollziehbarkeit eines Argumentes, als Ziel. Was an sich sinnvoll ist, bloß eben gerne mal mit „Objektivität“ verwechselt wird – sozusagen der Essenz von Wahrheit an sich, der Beobachtung ohne Beobachter oder auch der körperlosen Erfahrung. Wo doch schon Heisenberg herausfand, dass der Beobachter das Beobachtete beeinflusst …
Anregendes Denkfutter. Allerdings braucht mein Erfahrungskörper bei der Hitze jetzt erstmal ein bisschen Abkühlung, weshalb diese drei Textstellen für heute genügen mögen.
Gutes Schwitzen Euch allen da draußen! 😉